Gestrandet - Endstation Südsee
Kapitel 3
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© 2015 Gestrandet - Endstation Südsee
Gestrandet - Endstation Südsee
Abenteuer-Thriller von Steeve M. Meyner

03 – Stürmische See

Diese Schockstarre dauerte jedoch nur einen kurzen Augenblick an. Dann erwachte mein Kampfgeist wieder und ich schaute mich nach irgendetwas um, womit ich das kaputte Fenster verschließen könnte. Doch bei dem spärlichen Licht, was noch durch das Wasser und die Fenster nach innen kam, war kaum etwas zu erkennen, da die elektrische Beleuchtung gleich nach dem Kentern der Jacht weitgehend ausgefallen war. Nur noch die Notbeleuchtung schimmerte blau und grün.

Als Erstes fiel mir eine Bettdecke in die Finger, die nur ein paar Schritte von mir entfernt im Wasser lag. Da sie sich schon mit Wasser vollgesogen hatte, war sie schwer wie ein Zementsack. Wider Erwarten gelang es mir mit ihr aber auf Anhieb, das relativ kleine Fenster zu verstopfen, sodass kaum noch neues Wasser hereinströmte. Einziges Problem dabei war jedoch, dass es nur dann halbwegs dicht war, wenn ich mich mit meinem ganzen Körpergewicht und aller Kraft dagegenstemmte. Sobald ich auch nur etwas locker ließ, drückte das Wasser wieder herein.

Also blieb mir keine andere Wahl, als mich, so gut ich nur konnte, gegen das Leck zu pressen. Soweit ich es mitbekam, wütete draußen der Sturm unvermindert weiter. Einzig die Wucht der Wellen, die immer wieder über die Jacht hereinbrachen, schien etwas nachzulassen, womit aber auch die Wahrscheinlichkeit schwand, dass ein weiterer Brecher das Schiff wieder zurückdrehen könnte.

Wie ein elektrischer Schlag durchfuhr mich ein Gedanke an Jim, der ja auch hier unten irgendwo sein musste. Der eigene Überlebenskampf hatte mich ihn völlig vergessen lassen. Doch ich musste unbedingt herausfinden, ob mit ihm alles in Ordnung war. In der Dunkelheit konnte ich ihn nirgends ausmachen, zumindest nicht von der Position aus, an der ich mich befand. Sobald ich mich etwas nach vorn beugte, schoss das Wasser sofort wieder in den Innenraum. Trotzdem entschloss ich mich, zumindest für einen ganz kurzen Moment, nach Jim zu suchen.

Aber schon Sekunden später merkte ich, dass diese Idee nicht ausführbar war. In der Dunkelheit und dem Chaos, das hier unten herrschte, war fast kein Durchkommen möglich, ganz zu schweigen davon, dass das Boot vom Sturm und den Wellen nach wie vor wie wild hin- und hergeworfen wurde. Ich hatte mich gerade erst einmal ein oder zwei Meter vorgearbeitet, als das jetzt wieder ungebremst einströmende Wasser den Wasserstand in der Kajüte bedrohlich ansteigen ließ. Mir blieb keine andere Möglichkeit, als meinen Versuch abzubrechen und weiter zu versuchen, das hereinströmende Wasser zumindest etwas zurückzuhalten.

Zu Hilfe kam mir ein Brett, das, keine Ahnung wo, abgerissen worden war und jetzt gerade neben mir schwamm. Ich versuchte, es irgendwie als Stütze zu nutzen, doch fand sich nichts Passendes, wo ich es hätte abstützen können. Schließlich kam ich zu dem Schluss, dass ich das Leck niemals von innen auch nur halbwegs dicht bekommen würde, da der Druck des Wassers einfach zu groß war. Wenn ich eine winzig kleine Chance haben wollte, dann musste es mir gelingen, etwas von außen vor das geborstene Fenster zu bekommen.

So gut die Idee auch war, die Umsetzung erwies sich als fast unmöglich. Ich versuchte, Teile der Decke durch das Fenster nach draußen zu schieben, was aber bei der Menge des eindringenden Wassers schlichtweg unmöglich war. Vielmehr verletzte ich mich mehrfach am Arm an den scharfen Kanten und Scherben des Fensters, die wie heimtückische Dolche herausragten. Irgendwie gelang es mir dann doch mithilfe des Brettes, fast die Hälfte der nun schon ziemlich aufgequollenen Decke durch das Loch nach draußen zu schieben. Nachdem ich auch das Brett noch nach außen gefädelt hatte, presste nun das Wasser die Decke in das Loch, wo sie aber dank des Brettes festhing.

Das Leck war dadurch zwar noch immer nicht wirklich dicht, aber es verschaffte mir wenigstens etwas Zeit. Nachdem ich ein weiteres Kissen und zwei abgerissene Schranktüren eingeklemmt hatte, tröpfelte das Wasser nur noch herein. Da ich mir bewusst war, dass schon der nächste Wellenbrecher die Situation wieder kippen konnte, verlor ich keine Zeit und begann sofort, nach Jim zu suchen.

Das war alles andere als leicht, denn das Wasser stand mir inzwischen bis zum Bauch. Das Chaos von herumliegenden Dingen war im Dunkeln und beim Schaukeln durch die Wellen kaum zu durchdringen. Ein grün leuchtender Streifen an der Wand deutete auf ein Notlicht hin und zu meiner Überraschung fand ich dort tatsächlich eine funktionierende Taschenlampe.

Im Lichtkegel der hell scheinenden Lampe war das Ausmaß der Verwüstung noch niederschmetternder als im Dunkeln. Und dann sah ich Jim. Er schwamm genau auf der gegenüberliegenden Seite der Kajüte mit dem Kopf nach unten im Wasser. So schnell ich nur konnte, bahnte ich mir einen Weg zu ihm und drehte ihn herum. Sein Gesicht war mit einem Gemisch aus Blut und Wasser verschmiert. Das Blut stammte von zwei großen Platzwunden auf seiner Stirn und irgendwo unter den Haaren. Der glasige Blick seiner starren Augen verhieß nichts Gutes.

So gut es unter den gegebenen Umständen möglich war, versuchte ich seinen Puls zu ertasten. Aber da war nichts! Verzweifelt rüttelte und schüttelte ich ihn, doch der schlaffe Körper zeigte nicht den Hauch einer Reaktion.

Wieder schlug eine mächtige Welle auf das kieloben schwimmende Boot ein und drehte es fast auf die Seite. Jim und die Taschenlampe glitten mir aus den Händen und ich hatte selbst alle Mühe, mich irgendwo festzuklammern, um nicht quer durch die Kajüte geschleudert zu werden. Zu meiner Verwunderung blieb die Jacht tatsächlich auf der Seite liegen. Das Wasser begann allerdings wieder schneller zu steigen, ein Zeichen dafür, dass die notdürftige Abdichtung, die jetzt ganz unten lag, das eindringende Wasser nicht mehr zurückhalten konnte.

Zwei ganz dicht aufeinanderfolge Wellen, die jetzt über uns - oder richtiger - über mich hereinbrachen, vollbrachten das Unglaubliche: Die Jacht richtete sich wieder richtig herum auf. Das würde jedoch nicht von langer Dauer sein, wenn es mir nicht schnell gelänge, die noch verbliebenen Segel zu raffen, denn der Wind drückte mit unverminderter Kraft dagegen, wodurch sich der Kahn schnell wieder bedrohlich zur Seite neigte.

Also sprang ich kurzerhand aus der Kajüte heraus und hangelte mich zur Kabelage auf der Steuerbordseite, um das Hauptsegel herunterzulassen. Zum Glück hatten wir das so ausgiebig mit Kanoa geübt, dass ich selbst unter diesen rauen Bedingungen wusste, was ich zu tun hatte. Doch die Seile hatten sich oben im Mast verheddert, sodass die Segel auf Halbmast hängen blieben. Ihrer Spannung beraubt flatterten sie jetzt laut knallend in den Windböen, die über das aufgewühlte Meer fegten.

Der Himmel war mit fast schwarzen Wolken verhangen und zu Wind und peitschendem Regen zuckten jetzt auch noch grelle Blitze durch den Himmel. Die halb heruntergelassenen Segel boten dem Wind zwar viel weniger Angriffsfläche, da aber die Jacht gänzlich ohne Steuermann unterwegs war, drehte sie sich unkontrolliert auf den Wellen. In einiger Entfernung türmten sich wieder beängstigende Wellenberge auf, die schon bald unser Schiffchen erreicht haben würden. Ganz sicher würden sie es erneut kentern lassen, wenn sie von der Seite über die Jacht rollen sollten. Und genau danach sah es im Moment aus, falls es mir nicht doch noch rechtzeitig gelingen würde, das Steuer herumzureißen.

So schnell es mir bei dem Schaukeln überhaupt möglich war, hangelte ich mich zum Steuer hin und erreichte es genau in dem Moment, als die Erste der großen Wellen schäumend über mich hereinbrach. Verzweifelt klammerte ich mich an der Reling fest, um nicht über Bord gespült zu werden. Das Schiff legte sich erneut weit auf die Seite, richtete sich jedoch gleich nach der Welle wieder etwas auf. Dabei schlug mir das lose Ende eines Seils, welches über das Deck schwang, wie eine Peitsche mitten ins Gesicht. Der brennende Schmerz war so groß, dass mir fast schwarz vor Augen wurde. Doch geistesgegenwärtig packte ich es mit einer Hand, während ich mich mit der Anderen weiter festhielt, und band es mir um den Bauch. Keine Sekunde zu früh war ich damit fertig, als die nächste Welle über mich hereinbrach und die Jacht ein weiteres Mal auf die Seite legte. Und wieder richtete sich das Schiffchen auf wie ein trotziges Stehaufmännchen. Ich warf mich auf das Steuerrad, das frei drehend dem Schiff keinerlei Führung gab, und bekam dabei einen kräftigen Nasenstüber von einem der Griffe, da es mir nicht sofort gelang, das schnell und unkontrolliert drehende Rad unter Kontrolle zu bekommen. Doch Zeit, mir über meine blutende Nase Gedanken zu machen, blieb mir nicht, da die nächste, noch gewaltigere Welle schon tosend heranrollte.

Mein naiver Versuch, die Jacht doch noch in eine bessere Position zur Welle zu bringen, scheiterte schon daran, dass wir fast gar keinen Vorschub mehr hatten und so das Ruder auch keine nennenswerte Wirkung zeigte. Die Welle türme sich haushoch schräg vor mir auf. Sie musste ungelogen mindestens fünfzehn oder zwanzig Meter hoch sein. Wie ein unüberwindbares Hindernis wuchs sie vor dem Schiff in die Höhe. Die eigentlich stolze Segeljacht wirkte davor nicht viel größer als eine jämmerliche Nussschale.

Dann brach sie über mich herein wie der wütende Faustschlag eines Riesen. Ich war vollkommen von Wasser umschlossen, weshalb ich auch nicht mehr sagen konnte, wo oben oder unten war. Der Druck und Sog des Wassers war so immens groß, dass es mir nicht gelang, mich an dem Steuerrad festzuhalten. Verzweifelt um mich greifend, bekam ich zwar etwas zu greifen, riss es aber mit mir fort. Ich hatte das Gefühl, in den Tiefen des Meeres begraben zu sein. Um mich herum war nichts als Wasser und Schaum. Meine Hand umklammerte noch immer den Strick und zu meiner Überraschung zog er mich nach oben. Also hielt ich ihn verzweifelt fest. Meine Luft wurde immer knapper. Wenn ich nicht bald meinen Kopf aus den tosenden Fluten strecken könnte, wäre mein feuchtes Ende unausweichlich.

Ich kann gar nicht sagen, wie herrlich es war, als mein Kopf plötzlich für einen kurzen Moment die Wasseroberfläche durchstieß und ich einen tiefen Luftzug nehmen konnte. Doch schon im nächsten Augenblick wurde ich wieder vom Wasser begraben und der Kampf begann von vorn. Der Strick, den ich jetzt mit beiden Händen so fest umklammerte, wie es mir nur möglich war, zog mich wieder nach oben. Kurz bevor ich aufgeben wollte, stach ich erneut durch die Wasseroberfläche und konnte einen mit Gischt durchsetzten Luftzug nehmen.

Das wiederholte sich noch mehrere Male, bis ich völlig am Ende meiner Kräfte war. Trotzdem umklammerte ich weiter den Strick, der sich Mal für Mal als mein Lebensretter erwies. Endlich machten die Wogen eine kurze Pause, wodurch ich mehr als nur einen Atemzug nehmen konnte. Der Strick, an dem ich mich festhielt, gehörte zu einem rot-weiß gestreiften Rettungsring, von denen mehrere an der Reling unserer Jacht hingen und den ich quasi im Vorbeiflug mitgerissen hatte. Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, mich über diesen unglaublichen Zufall zu wundern, der mir ohne Frage das Leben rettete. Mit letzter Kraft schwamm ich zu dem Ring und kletterte hinein, als die nächste Welle auch schon über mich hereinbrach. Doch dank des Rettungsringes war ich recht schnell wieder an der Oberfläche. Ich verhakte meine Arme so gut wie möglich in den Stricken, die an dem Ring hingen, um ihn nicht doch noch zu verlieren, wenn wieder einmal eine Welle über mich hereinbrach.

Mit der Zeit ließ die Wucht der See langsam nach, weshalb ich wieder etwas zu Luft kam. Gleichzeitig wurde mir aber auch die Hoffnungslosigkeit meiner Lage klar. Ich trieb hier mutterseelenallein mitten im Pazifik in einem schweren Sturm in einem Rettungsring umher, ohne Trinkwasser, ohne Nahrung, ohne Funkgerät - eigentlich ohne alles. Wir hatten ja noch nicht einmal ein SOS-Signal abgesetzt, so schnell und unerwartet war das Unwetter und schließlich die Katastrophe über uns hereingebrochen. Auch wenn die Insel, die wir angesteuert hatten, nur noch wenige Seemeilen entfernt gewesen war, hatten uns der Wind und die Strömung inzwischen sicher zig Meilen ins offene Meer hinausgetrieben.

Abgesehen davon könnte es Tage dauern, bis wir vermisst würden. Und selbst wenn, niemand wüsste, wo man nach uns suchen sollte. Auch wenn das Wasser nicht kalt war, würden mir wohl bestenfalls Stunden oder mit ganz viel Glück ein oder zwei Tage bleiben. Aussichtslos! Nur durch ein Wunder hätte ich jetzt noch eine Chance.

Aber ich war schon immer ein Kämpfer! Aufgeben ist nicht! Auch, wenn ich nur eine Überlebenswahrscheinlichkeit von eins zu einer Million besitzen sollte, würde ich nicht einen Augenblick daran denken aufzugeben!

Jetzt erst bemerkte ich, dass ich noch immer mit dem Seil verbunden war, welches ich mir umgebunden hatte, kurz bevor ich über Bord gegangen war. Und es war straff, was bedeuten musste, dass ich tatsächlich noch mit der Jacht verbunden war. Aber so sehr ich mich auch anstrengte, sah ich nur Wasser, Wasser und nochmals Wasser um mich herum. Von der Jacht war nichts zu sehen, weder der Mast oder gar ein Segel noch irgendetwas Anderes. Aber inmitten von meterhohen Wellenbergen war das nicht so verwunderlich.

Wie lang das Seil war, wusste ich natürlich auch nicht. Schließlich hatte ich einfach und ohne lange nachzudenken das freie Ende gegriffen. Mit allen noch verfügbaren Kräften begann ich nun, mich an dem Seil entlangzuziehen, was bei dem Seegang alles andere als einfach war. Nicht nur einmal brachen sich riesige Wellen über mir und begruben mich unter sich, sodass mir das Tau aus den Fingern glitt und ich wieder bei null anfing. Ich brauchte eine andere Strategie. Immer, wenn ich ein paar Meter geschafft hatte, band ich jetzt das Seil zusammen, damit ich beim nächsten Rückschlag nicht wieder ganz von vorn beginnen musste.

Ich weiß nicht mehr, wie lange ich so gegen die Elemente kämpfte, doch plötzlich sah ich vor mir auf einem Wellenkamm unsere Jacht auftauchen. Die Entfernung musste so um die fünfzig Meter betragen. Vielleicht auch etwas weniger. Der Hauptmast war ungefähr auf der Hälfte weggeknickt und was an Segeln noch vorhanden war, hing in Fetzen herab. Mehr konnte ich nicht erkennen, da sie schon wieder ins nächste Tal abtauchte.

Meine Kräfte ließen langsam nach. Zentimeter für Zentimeter zog ich mich zum rettenden Schiff hin. Es ist schon erstaunlich, welche Kraft man in der Lage ist zu mobilisieren, wenn man sich in so einer Situation befindet. Es musste Stunden gedauert haben, bis ich endlich die Jacht erreicht hatte. Ich war so erschöpft, dass ich keine Ahnung hatte, wie ich wieder an Bord klettern sollte. Auch wenn das Boot durch das viele Wasser im Inneren ziemlich tief lag, gelang es mir nicht, an der Seite hochzuklettern, die mir am nächsten war.

Völlig entkräftet versuchte ich dann, zum Heck der Jacht zu gelangen. Auch, wenn der Wind inzwischen spürbar nachgelassen hatte, war die See noch immer so aufgewühlt, dass Schwimmen für mich nahezu unmöglich war. Ich schaffte es schließlich doch. Am Heck war eine kleine Leiter angebracht, über die ich jetzt versuchte, auf das Deck zu klettern. Durch die Stunden im Wasser und die Anstrengungen war ich so sehr geschwächt, dass ich es einfach nicht schaffte, aus dem Wasser zu steigen. Ich getraute mir auch nicht, den Rettungsring, dem ich ohne den geringsten Zweifel mein Leben zu verdanken hatte, abzulegen und zurückzulassen, weil ich zu viel Angst hatte, abzurutschen und zurück ins Wasser zu fallen. Und ohne den Ring würde ich mich bei dem Erschöpfungsgrad nicht lange über Wasser halten können.

Also klammerte ich mich mit meinem rechten Arm an der Leiter fest und versuchte, mich etwas auszuruhen, um dann noch einmal einen Versuch zu starten. Zu viel Zeit konnte ich mir nicht mehr genehmigen, da ich langsam spürte, wie mein Körper begann, sich zu unterkühlen.

Irgendwie musste ich für einen Moment weggedämmert gewesen sein, doch plötzlich gab es einen so fürchterlichen Knall in unmittelbarer Nähe, dass ich vor Schreck beinahe aus meinem Ring gerutscht wäre. Und wieder: Blitz ... eins ... zwei ... Donner! Nur einige hundert Meter von mir entfernt war der Blitz in einen der Wellenberge gefahren. Schon wenige Sekunden später schlug der nächste Blitz in nicht viel größerer Entfernung ein.

Mit einem Ruck zog ich mich an der Leiter hoch und fiel wie tot auf das blanke Deck der Jacht. Strömender Regen hatte eingesetzt und mischte sich mit der Gischt der Wogen, die noch immer mit großer Wucht gegen den Rumpf des Schiffes schlugen, aber zum Glück nicht mehr darüber hinwegrollten. Das Beste an dem Regen war aber, dass ich einfach nur den Mund aufmachen musste, und schon konnte ich trinken, was nach dem vielen Meerwasser, das ich unfreiwillig geschluckt hatte, eine echte Wohltat war.

Die Blitze zuckten weiter um mich herum, doch ich war einfach zu fertig, das wahrzunehmen. Ich schaffte es gerade noch, zu der kleinen Nische zu kriechen, die eigentlich für den Steuermann da war. Und obwohl es jetzt bestimmt nicht wirklich die geeignete Zeit war, übermannte mich die Erschöpfung und Müdigkeit und es wurde schwarz vor meinen Augen.

 

Als ich wieder zu mir kam, war es bereits dunkel. Der Sturm hatte sich etwas gelegt und auch der Regen hatte aufgehört. Trotzdem wehte noch immer eine steife Brise und trieb die Wellen und auch die Jacht vor sich her. Ich konnte mich kaum bewegen, da mir sämtliche Knochen und Muskeln schmerzten und ich völlig durchnässt und unterkühlt war. Ein Blick in die Kajüte war aufgrund der Dunkelheit unmöglich. Trotzdem kletterte ich die kurze Treppe nach unten. Die Tür stand halb offen. Ich kam aber nicht weit, da das Wasser gut einen Meter hoch stand, was der Grund dafür war, dass die Jacht so tief lag.

Das Chaos war im Dunkeln nicht zu durchdringen. Und ich konnte mich nicht mehr erinnern, wo ich die Taschenlampe hingetan hatte. Gleich neben der Tür sah ich aber einen Sanikasten, der vorschriftsmäßig direkt am Eingang hing. Das Beste war aber, dass er noch geschlossen und unbeschädigt war. Ganz vorsichtig öffnete ich ihn, damit nichts herausfallen konnte und betastete mit meinen feucht-klammen Fingern den Inhalt. Und tatsächlich! Wie es sich für einen ordentlichen Sanikasten gehört, fand ich darin zwei dieser ganz dünnen Rettungsdecken. In diese Decken gehüllt, sank ich auf die Stufen der Treppe.

Es dauerte eine Weile, doch dann wurde es langsam angenehm warm und ich schlief wieder ein, obwohl ich nicht gerade eine bequeme Position hatte. Doch meine Erschöpfung war noch immer so groß, dass mein Körper sofort auf Stand-by umschaltete, sobald sich eine passende Gelegenheit bot.

 

Am nächsten Morgen wachte ich auf, als es schon recht hell war. Das Erste, was ich sah, als ich ganz langsam meine Augen öffnete, war eine weiße Hand, die nur knapp neben mir aus dem Wasser herausschaute. Meine Kehle schnürte sich zusammen, als würde jemand von hinten versuchen, mich zu erwürgen. Und obwohl ich eigentlich am Liebsten laut schreiend weggerannt wäre, blieb ich wie versteinert sitzen und starrte einfach nur auf die Hand.

Ganz langsam kroch ein Würgreiz meinen Hals hoch, bis ich es nicht länger zurückhalten konnte. Ich sprang auf, wobei ich mit dem Kopf unsanft eine vorstehende Ecke mitnahm, und rannte auf das Deck, wo es mir gerade noch so gelang, meinen Kopf über die Reling zu hängen. Minutenlang verharrte ich dort mit geschlossenen Augen. Mir war zum Schreien zumute, doch ich schwieg. Der Schmerz in meinen Armen ließ mich wissen, dass es kein Traum war, sondern grausame Realität.

Nachdem ich mich wieder gefasst hatte, schaute ich mich erst einmal um. Der Himmel über mir war blau und nur vereinzelte Wolken wurden vom Wind über den strahlenden Hintergrund getrieben. Auch die Wellen waren nur noch ein bis zwei Meter hoch, sodass die Jacht schon fast nur noch sanft hin und her und auf und ab schaukelte. Doch das war auch schon das einzige Positive, was ich sah. Der Hauptmast war auf halber Höhe abgeknickt und der deutlich kleinere Vordermast stand ganz schief. Die Segel, oder besser die Reste, die noch davon übrig waren, hingen in Fetzen wie Lametta herunter und dazwischen waren wild durcheinander zum Teil gerissene oder verknotete Seile zu sehen. Viele der Umlenkrollen und Verankerungen waren abgerissen worden. Kurzum, der Anblick war verheerend! Dazu kam noch, dass der Rumpf des Bootes insgesamt und am Heck ganz besonders, tief im Wasser lag, weshalb bereits schon leichte Wellen über Teile des Decks spülten.

Nach einiger Zeit, wo ich entmutigt an der Reling lehnte und noch nicht einmal in der Lage war, einen einzigen klaren Gedanken zu fassen, raffte ich mich schließlich auf und begab mich zurück ins Innere der Jacht, um zu schauen, wie es dort stand. Der Anblick, der sich mir hier bot, übertraf das Chaos an Deck noch um Welten. Der gesamte Innenraum war fast zur Hälfte geflutet. Überall schwammen Dinge, die aus den Kojen und Einbauschränken stammten, kreuz und quer durcheinander. Ein eigenartiger Geruchsmix nach Diesel, Toilette - und ich möchte gar nicht wissen, wonach noch - setzte dem Chaos noch den Hut auf.

Dann entdeckte ich Jim. Er schien gleichsam mit offenen Augen und offenem Mund unter der Wasseroberfläche zu schweben und wurde nur vom Schwanken des Schiffes leicht hin und her bewegt. Sofort sprang ich ins hüfthohe Wasser und zog ihn heraus. Ich brauchte nicht erst den Puls zu fühlen, um zu erkennen, dass er bereits mehrere Stunden tot sein musste, da die Leichenstarre schon eingesetzt hatte. Trotzdem holte ich ihn aus dem Wasser und legte ihn auf das Deck. Doch hier konnte und vor allem wollte ich ihn nicht liegen lassen. Darum suchte ich in der Kajüte ein paar Decken zusammen und wickelte ihn darin ein, band alles mit einem der Seile, die zur Vertakelung der Jacht gehört hatten, zusammen und knüpfte noch einen Ersatzanker daran, der sich in einer Kiste im Maschinentraum befunden hatte. Schweigend ließ ich ihn ins Wasser gleiten und blickte noch minutenlang schwermütig auf die bewegte See, die ihn verschlungen hatte. Sogar die eine oder andere Träne lief mir die Wange herunter bei dem Gedanken an meine Freunde, die so plötzlich nicht mehr da waren.

Nachdem ich mich wieder etwas gefasst hatte, überlegte ich, was wohl das Wichtigste sei, was ich tun musste. Da war der abgeknickte Mast, die zerfetzten Segel, die zerstörte Kabelage und nicht zuletzt das viele Wasser im Innenraum - unterm Strich so viele Dinge, dass ich gar nicht wusste, wo ich anfangen sollte. Doch das Wasser in der Kajüte schien mir im Moment das Dringendste zu sein.

Ich erinnerte mich zwar noch daran, dass im Maschinenraum eine Pumpe installiert war, doch da alles hüfthoch unter Wasser stand und das elektrische Bordnetz sowieso ausgefallen war, nutzte mir das nichts. So blieb nur die klassische Methode: Wassereimer! Nach einigem Suchen fand ich auch zwei Eimer in einer kleinen Abstellkammer mit Angelausrüstungen.

Als ich es nach etlichen Stunden harter Arbeit geschafft hatte, über die Hälfte des Wassers rauszuschaffen, stand ich vor dem nächsten Problem. Da die Jacht nun nicht mehr so tief im Wasser lag, bekam sie deutliche Schlagseite, da der abgeknickte Mast auf der Steuerbordseite bis ins Wasser reichte. Bevor ich das restliche Wasser rausschaffen konnte, musste ich den kaputten Mast loswerden, was sich als einfacher gesagt als getan erwies. Der Wellengang und das damit verbundene Schwanken des Schiffes waren noch immer so stark, dass es sich für eine Landratte wie mich als alles andere als einfach darstellte, auf dem verbliebenen Maststück herumzuturnen und zu versuchen, die weggebrochenen Reste loszuwerden. Mehrmals rutschte ich ab und entging nur knapp einem Absturz, doch dann gelang es mir mithilfe eines Beiles, das Aluminiumblech und die Kohlefasern zu durchtrennen. Mit einem Mal krachte der Mast auf das Dach der Kajüte, welches dadurch zum Glück nicht stärker beschädigt wurde. Von dort rutschte er mitsamt den Resten der Segel und jeder Menge Seile über Bord und riss gleich noch ein Segment der Reling mit sich fort. Gedanken darüber, ob ich vielleicht später noch etwas davon hätte brauchen können, kamen ich mir in diesem Moment überhaupt nicht in den Sinn. Im Augenblick war ich jedenfalls ganz froh, dass sich die Jacht wieder aufrichtete und ihre Schräglage verlor.

Jetzt machte es sich auch bemerkbar, dass ich einen Bärenhunger hatte. Zum Glück fand ich noch etliche eingeschweißte Lebensmittel und Wasserflaschen im Chaos der Kajüte, womit ich mich etwas stärken konnte, bevor ich damit fortfuhr, das Wasser auszuschöpfen. Bis zum späten Nachmittag hatte ich es tatsächlich geschafft, so ziemlich das ganze Seewasser wieder nach draußen zu befördern und Decken und Matratzen zum Trocknen auf das Deck zu legen.

Der Wind war am Nachmittag noch etwas weiter abgeflaut und damit beruhigte sich auch das Meer. Die Jacht schaukelte jetzt schon fast verspielt hin und her. Wäre da nicht der halbe Mast und die zerfetzten Segel gewesen, würde kaum noch etwas an das Unwetter erinnern, das gestern hier gewütet und allen meinen Kameraden und Freunden das Leben gekostet hatte.

Die Nacht verbrachte ich mehr schlecht als recht unter Deck. Da alles, womit ich mich hätte zudecken können, und selbst meine Kleidung noch immer nass war, konnte ich mich wieder nur mit den dünnen Rettungsdecken warmhalten. Aber wenigstens war ich vor dem Wind geschützt.

 

Die folgenden Tage verbrachte ich damit, alle Sachen zu trocknen und die Jacht zu durchstöbern. Da die gesamte Bordelektrik ausgefallen war, funktionierte weder das Navigationssystem noch das Funkgerät. So konnte ich nicht bestimmen, wo ich mich befand und auch keinen Notruf absetzen. Ich versuchte zwar stundenlang, daran herumzubasteln, allerdings ohne Erfolg. Genauso wenig gelang es mir, den Hilfsdiesel wieder in Gang zu setzen, da abgesehen vom defekten elektrischen Starter auch jede Menge Meerwasser hineingelaufen war.

Doch es gab auch Dinge, die noch funktionierten, wie zum Beispiel der Kompass. Mit ihm konnte ich wenigstens die Richtung bestimmen, in der ich von Wind, Wellen und Meeresströmungen transportiert wurde. Der Wind wehte noch immer aus Norden und trieb mich in südlicher Richtung vor sich her. Wie weit ich inzwischen bereits abgetrieben war, konnte ich aber nicht sagen.

Schon bald zeigte sich das nächste Problem. Die meisten Lebensmittel, die in der Kombüse gelagert hatten, waren verdorben und ich hatte sie kurzerhand über Bord geworfen, als ich versucht hatte, das Chaos zu beseitigen. Doch die Konserven, die ich sorgfältig aufgestapelt hatte, konnten höchstens für zwei oder drei Wochen reichen. Und das auch nur, wenn ich sparsam damit umgehen würde. Ich hatte keine Ahnung, ob ich bis dahin auf ein Schiff oder eine bewohnte Insel treffen würde, da ich quasi antriebs- und damit auch ziellos unterwegs war und nur durch die Naturgewalten hin und her bewegt wurde. Meine Hoffnung war, dass heutzutage, wo die Meere ja dicht befahren waren und es kaum möglich war, an ein völlig unbekanntes, unzivilisiertes Stückchen Erde geworfen zu werden, ich schon bald gerettet werden würde. Wieder so eine Fehleinschätzung meinerseits, wie ich in den darauffolgenden Monaten lernen sollte!

Für das Lebensmittelproblem fand ich eine einfache Lösung - angeln. Die Jacht war ja mit mehreren 1-A-Hochseeangelausrüstungen ausgestattet. Schon nach kurzer Zeit hatte ich einen gut fünfzig Zentimeter langen Thunfisch am Haken. Und da die Kücheneinrichtung weitgehend in Ordnung war, hatte ich den Fisch auch recht schnell zubereitet. Gewürze, Öl und was man sonst noch hätte brauchen können, waren zwar auch nicht mehr vorhanden, doch trotzdem gelang es mir, ein ganz passables Essen hinzubekommen.

Ein anderes Problem machte mir allerdings mehr Sorgen. Der Trinkwassertank war im Sturm leckgeschlagen und ausgelaufen, sodass ich nur ein paar Flaschen Trinkwasser zur Verfügung hatte. So blieb mir nichts anderes übrig, als so sparsam wie möglich damit umzugehen und zu hoffen, dass es doch bald wieder regnen würde, damit ich meine Vorräte auffüllen könnte.

Am nächsten Tag drehte sich der Wind spürbar. Er wehte jetzt von Westen. Gleichzeitig nahm er rasch an Intensität zu, was dazu führte, dass auch die Wellen wieder höher wurden. Und schon eine Stunde später befand ich mich zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit inmitten eines gewaltigen Unwetters.

Diesmal hatte ich mir sofort eine der Schwimmwesten angezogen, was ich vor ein paar Tagen sträflich versäumt hatte, und mich mit einem Seil gesichert. Nun versuchte ich, die Jacht so zu steuern, dass ich die Wellen frontal schnitt, um nicht wieder Gefahr zu laufen, von der Seite überrollt zu werden und erneut zu kentern. Doch das war schwerer als gedacht, da keine Segel gesetzt waren und der Diesel auch nicht lief. So blieb nur der bisschen Vortrieb, welcher aus der Wechselwirkung zwischen dem Wind und dem Schiffskörper herrührte.

Auf diese Weise kämpfte ich für mehrere Stunden. Die Wellenberge waren bereits wieder so hoch, dass die an sich stattliche Jacht wie ein Spielzeugschiffchen hin und her geworfen wurde. Mehrmals brachen meterhohe Brecher mit solcher Gewalt über mich herein, dass ich komplett von Wasser umgeben war und fast die Hoffnung verlor, wieder zurück an die Oberfläche des brodelnden Meeres zu kommen. Aber die Jacht bewies sich als ausgesprochen seetauglich und erkämpfte sich stets den Weg zurück an die Luft.

Obwohl es erst kurz nach dem Mittag sein musste, war es fast so dunkel wie zur Dämmerung. Nur hin und wieder erhellte ein greller Blitz die nähere Umgebung. Wellen. Nichts als riesige Wellen, Gischt und Schaum und wieder Wellen! Doch dann, als ich mich für einen kurzen Moment auf dem Gipfel eines Wellenberges befand, konnte ich es sehen: Ein paar Seemeilen vor mir war Land. Im Widerschein eines Blitzes war mir so, als hätte ich Felsen und auch ein paar Bäume gesehen. Doch es dauerte endlose Minuten, bis ich wieder einen Blick in die Richtung werfen konnte. Ganz sicher war dort Land! Und der Wind und die Strömung trieben mich direkt darauf zu.

Die Wucht der Wellen steigerte sich weiter. Noch hielt sich die Jacht zwar ganz wacker, aber ich hatte große Befürchtungen, dass irgendwann ein Brecher einfach das Deck zertrümmern würde, so heftig brachen manche Wellen über mich herein. Wie ich von meiner Position am Steuerrad erkennen konnte, waren schon ein oder auch zwei der Kajütenfenster zu Bruch gegangen, wodurch jedes Mal, wenn eine Welle das Schiff überspülte, erneut eine Menge Wasser ins Innere gelangte. Doch ich konnte absolut nichts dagegen unternehmen, sondern war vielmehr froh, bisher noch nicht über Bord gespült worden zu sein. Verzweifelt klammerte ich mich weiter mit aller Kraft am Steuerrad fest.

Nur wie in Zeitlupe kam das Festland näher und ich hatte das Gefühl, dass die Wellen noch höher wurden. Aber die mögliche Rettung vor Augen hoffte ich von ganzem Herzen, dass die Jacht noch lange genug durchhalten würde, um mich an Land zu bringen.

Nach ein paar Stunden harten Überlebenskampfes war das Ufer schon fast zum Greifen nah. Die Wolken hatten sich unterdessen aufgelockert, sodass es auch wieder etwas heller wurde. Ein weiß schäumender Gürtel zog sich, soweit ich es erkennen konnte, zwischen mir und dem felsigen Strand entlang und ließ auf nichts Gutes schließen. Doch da ich außerstande war, den Kurs meiner Jacht signifikant zu kontrollieren, blieb mir nur zu hoffen, dass mein Schiff an dem Riff oder was immer das sein sollte nicht einfach zerschellen und mich im tosenden Meer versenken würde.

Das Rauschen und Brausen wurde von Sekunde zu Sekunde lauter und jetzt konnte ich auch die spitzen und schroffen Felsen erkennen, die das ganze Ufer säumten und auch aus dem weiß schäumenden Gürtel herausragten. Mir wurde ganz flau im Magen, denn die Chancen, halbwegs unbeschadet das rettende Ufer zu erreichen, standen nicht einmal eins zu eintausend. Selbst wenn ich es schaffen sollte, irgendwie über das Riff hinwegzukommen, würde es nahezu unmöglich sein, an Land zu gehen, da die riesigen Wellen mit einer solchen Wucht gegen die Felsenküste krachten, dass kaum eine reelle Möglichkeit bestand, so etwas schadlos zu überstehen.

Doch jetzt kam erst einmal das Riff. Vielleicht noch dreißig Meter war ich davon entfernt. Mir schien es sicherer zu sein, das Seil, mit dem ich mich festgebunden hatte, um von den Wellen nicht über Bord gespült zu werden, nun doch wieder zu lösen. Ich zog an der Notschlinge meiner Schwimmweste und sofort blies sie sich von allein auf.

Nur noch zehn Meter! Das Donnern der Wellen war nun so laut, dass ich nicht einmal mein eigenes Stoßgebet, welches ich laut hinausschrie, hören konnte. Dann gab es einen Krach und die Jacht rammte sich mit dem Bug in das Riff. Das Geräusch von splitterndem, glasfaserverstärktem Kunststoff mischte sich mit dem Tosen des Meeres. Durch den Aufprall wurde ich mit voller Wucht gegen das Steuerrad geworfen, dessen hölzerne Speichen krachend zerbrachen. Benommen sank ich in die Knie. Zum Glück war nicht viel passiert, da die aufgeblasene Schwimmweste den Stoß ganz gut abgefedert hatte.

Jetzt, wo das Boot festsaß, brachen die Wellen mit noch größerer Gewalt über mich herein. Es hatte fast den Anschein, dass sie von dem Ziel besessen waren, das kleine Schiffchen in kürzester Zeit in tausend Stücke zu zerschlagen. Dabei fand ich kaum noch genug Zeit, um Luft zu holen. Immer und immer wieder brachen riesige Wellen über mich herein und ich schaffte es gerade noch so, mich an den Resten des Steuerrades festzuhalten. Lange würde die Jacht dieser Belastung sowieso nicht mehr standhalten können.

Und dann sah ich sie. Eine Welle, die gut eineinhalb Mal so hoch war wie die Anderen, rollte auf mich zu. Das Heck des Bootes neigte sich nach oben, während der Bug noch immer im Riff festklemmte. Immer höher hob es sich und dann begann die Monsterwelle, sich zu brechen. Dabei flog das Heck der Jacht förmlich nach vorn, als wollte der Kahn einen Salto machen. Ich verlor jetzt jegliche Orientierung. Überall war nur noch Wasser. Das Einzige, was ich noch mitbekam, war, wie ich mit der tosenden Welle durch die Luft flog. Für einige Zeit gelang es mir sogar, mich wie ein Surfer ganz oben auf dem Kamm zu halten. Schließlich wurde ich aber trotz Schwimmweste unter Wasser gezogen und irgendetwas versetzte meinem rechten Bein einen heftigen Stoß gefolgt von einem brennenden Stechen, dass ich vor Schmerz beinahe laut geschrien hätte.

Nur ein einziger Gedanke war in meinem ansonsten leeren Kopf: Luft. Ich brauchte Luft! Ich musste es schaffen, so schnell wie nur möglich zurück an die Oberfläche zu gelangen, um Atem zu holen. Die sich brechende Welle wirbelte mich weiter wie wild herum, weshalb ich wieder einmal keinen Schimmer mehr hatte, was oben oder unten war. Dann schlug ich mit dem Kopf gegen etwas Hartes und bei mir gingen die Lichter aus.

 

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