Gestrandet - Endstation Südsee
Kapitel 2
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© 2015 Gestrandet - Endstation Südsee
Gestrandet - Endstation Südsee
Abenteuer-Thriller von Steeve M. Meyner

02 – Hawaii

Seit Jahren hatten wir uns auf diese eine Reise vorbereitet. Sie sollte etwas ganz Besonderes werden. Ich glaube, es war in den Ferien zwischen dem zweiten und dritten Semester, als wir wieder einmal nur mit Zelt und Fahrrad gen Mittelmeer unterwegs waren. Falk und Andy, meine zwei besten Freunde, und ich waren schon seit dem Abitur jeden Sommer gemeinsam auf Achse gewesen. Natürlich immer Low-Budget - versteht sich - und immer in Richtung Süden! Wir liebten einfach die Sonne und das Meer. Auf diese Weise sind wir weit herumgekommen: Kroatien, Frankreich, Italien und sogar bis nach Griechenland und in die Türkei haben wir es geschafft. Und auf einer dieser Touren hatten wir darüber gesponnen, wie abgefahren es wohl sein würde, mit einem kleinen Segelboot durch die Südsee zu schippern, verschiedene einsame Inseln anzulaufen und abseits der Zivilisation eben mal so richtig zu relaxen.

Doch dazu würden wir Geld brauchen, und zwar eine ganze Menge! Dementsprechend verschoben wir die Ausführung in die Zukunft. Wenn wir erst einmal mit dem Studium fertig wären und einen vernünftigen Job hätten, dann würde das schon klappen. Von Jahr zu Jahr grub sich unsere anfängliche Fantasie immer tiefer in unsere Gedanken ein. Schließlich war die künftige Reise bei jedem Treffen unser Thema Nummer eins.

Die Vorbereitungen waren einige Jahre später fast abgeschlossen. Das Geld hatten wir zusammen und auch über die Route waren wir uns schnell einig geworden. Beginnen würde unsere Tour auf Hawaii. Von dort aus sollte es für vier Wochen mit einem einheimischen Skipper durch die Südsee gehen. Auf der Route lagen mehrere idyllische Inseln und Atolle, die wir abhängig von den Wind- und Wetterverhältnissen anlaufen wollten. Selbst den Segelunterricht, den wir als Vorbereitung absolvieren mussten, hatten wir bereits erfolgreich hinter uns gebracht. Mit anderen Worten: Wir waren bereit - bereit für das Abenteuer unseres Lebens.

Da war dann nur noch das Problem mit der Zeit. Ich war ja kurz davor, in den Hafen der Ehe mit Jo einzulaufen. Also planten wir die Reise für das Frühjahr, sozusagen als Abschiedsevent vom Singledasein. Joanna war nicht so richtig begeistert davon, sagte jedoch nichts dagegen und hielt mich auch nicht davon ab. Leider! Hätte ich damals nur auf ihre unausgesprochenen Zweifel geachtet! Vielleicht würde ich dann andere Entscheidungen getroffen haben? Ich weiß es nicht. Doch so nahm alles seinen Lauf.

Anfang April, wenn ich mich richtig erinnere, müsste es der Zehnte gewesen sein, war es dann so weit. Unser Flug ging von München über Atlanta nach Honolulu. Schon als wir zum Flughafen fuhren, schien sich alles gegen uns zu verschwören. Jo hatte den Van ihres Bruders ausgeliehen und fuhr meine zwei Freunde und mich mit unseren riesigen Seesäcken nach München. Da unser Flieger schon zehn Minuten vor sechs am Morgen abheben sollte und wir dementsprechend zeitig zur Abfertigung dort zu sein hatten, waren wir quasi die ganze Nacht auf der Piste unterwegs. Aus irgendeinem Grund wollten wir uns einen zusätzlichen Hotelaufenthalt sparen. Aber wir waren vor Vorfreude so aufgedreht, dass keiner von uns irgendwelche Müdigkeit verspürte oder sogar geschlafen hätte. Alles lief super, bis vor uns plötzlich ein Stauende auftauchte. Jo war wahrscheinlich von der Story, die Falk gerade zum Besten gab, etwas abgelenkt und wäre trotz Vollbremsung um Haaresbreite auf die Autos vor uns aufgefahren. Zum Glück war die breite Standspur frei, sodass sie im letzten Moment gerade noch ausweichen konnte, da das Bremsen allein ganz sicher nicht mehr ausgereicht hätte. Bei dieser Aktion flogen uns die schweren Seesäcke, die wir einfach auf der Ladefläche liegen hatten, um die Ohren. Mit dem rechten Außenspiegel streifte der Van ein provisorisch am Straßenrand aufgestelltes Hinweisschild, welches sich allerdings als deutlich widerstandsfähiger erwies als der Spiegel. Schließlich kamen wir ohne Aufprall seitlich versetzt neben den anderen Autos zum Stehen. Zu unserer Überraschung und Freude war der abgefahrene Spiegel das Einzige, was wirklich passiert war. Jo war trotzdem völlig durch den Wind und es dauerte eine ganze Weile, bis ich sie endlich wieder beruhigen konnte.

Wir saßen wie auf Kohlen und starrten schweigend auf die Uhr, bis sich die Blechlawine endlich wieder in Bewegung setzte. Ich musste erst einmal das Steuer übernehmen. Joanna, die auf dem Beifahrersitz eingeschlafen war, atmete tief und gleichmäßig. Auch Falk und Andy waren auf einmal ganz still. Der Stau hatte uns so viel Zeit gekostet, dass wir nur noch weniger als die vorgeschriebenen zwei Stunden hatten, als wir endlich am Terminal ankamen.

»Jo. Joanna«, versuchte ich sie zu wecken, indem ich vorsichtig an ihrem Arm zupfte und ihr einen Kuss auf die Stirn gab. »Jo, wir sind da.“

Mit ihren großen, rehbraunen Augen blickte sie mich etwas müde und fragend an, als wollte sie mich bitten, nicht zu gehen. Doch sie bat mich nicht! Etwas gezwungen lächelnd drehte sie sich zu mir herum und küsste mich, ohne ein Wort zu sagen. Wenn ich gewusst hätte, dass es das letzte Mal sein würde, dass ich einen Kuss von ihr bekommen sollte, wäre ich womöglich im Auto sitzen geblieben und hätte sie noch etwas länger im Arm gehalten. Falk und Andy, die unsere Sachen schon ausgepackt hatten, klopften ungeduldig an die Beifahrerscheibe und deuteten auf die Uhr.

»PASST GUT AUF EUCH AUF! UND ... ICH LIEBE DICH!« rief Jo mir durch die heruntergelassene Scheibe hinterher, als wir zum Eingang des Flughafengebäudes hasteten. Andy ließ es sich natürlich nicht nehmen, lachend mit »Ich dich auch!« zu antworten, was ihm umgehend einen Ellbogenstoß von mir einbrachte. Das war das letzte Mal, dass ich Joannas warme Stimme hörte. Wenn wir nach dieser missratenen Fahrt dachten, jetzt könnte es ja nur noch besser werden, wurden wir schon bald eines Besseren belehrt. Das Problem waren unsere Seesäcke. Schon beim Check-in schaute die ältere Dame am Schalter uns und unser Gepäck eigenartig an. Wir wären eigentlich zu spät, meinte sie unfreundlich, als sie uns unsere Tickets reichte und doch noch passieren ließ. Dann kamen wir zur Personenkontrolle. Als Erster war Andy dran. Beim Ausleeren seiner Taschen kam an seinem Schlüsselbund ein kleines Taschenmesser zum Vorschein. Es war nicht größer als ein kleiner Briefkastenschlüssel mit einer höchstens zwei oder drei Zentimeter langen Klinge. Die Aufregung wegen dieser höchst gefährlichen Waffe, die Andy nicht kampflos aufgeben wollte, war so groß, dass gleich noch ein zweiter Flughafenangestellter und ein in der Nähe stehender Polizist hinzugerufen wurden. Gut, der schlaksige Kommentar von Andy, er habe schon nicht vor, damit jemanden zu erstechen, hätte nicht sein müssen, doch dass Andy sofort festgenommen und wie ein Terrorist abgeführt und in ein angrenzendes Zimmer gebracht wurde, war deutlich überzogen. Entsprechend heftig protestierten Falk und ich auch sofort mit der Folge, dass wir ebenfalls umgehend und nicht gerade freundlich in den Untersuchungsraum eskortiert wurden.

Dort lagen bereits unsere Seesäcke und mehrere Zöllner oder Polizisten standen daneben und schienen schon auf uns zu warten.

»Aufmachen und auspacken!«, war die kurze Anweisung eines der Beamten. Andy setzte schon dazu an, erneut etwas zu erwidern, entschied sich dann aber doch, seine Klappe zu halten. Ohne zu widersprechen, begannen wir, die mühsam in den Sack gepressten Sachen auszupacken und auf dem Boden auszubreiten. Als wir dann auch noch unsere Kleidung ausziehen sollten, platzte mir der Kragen.

»Wir sind doch keine Terroristen! Und wir haben auch keine Bombe am Leib! Was soll dieser ...«

Ich kam nicht dazu, meinen Satz zu Ende zu sprechen, da plötzlich zwei Pistolenläufe auf mich zeigten. Das Wort 'Bombe' musste offensichtlich das Schlüsselwort gewesen sein. Danach ging alles ganz schnell. Eine ganze Staffel von Sicherheitsleuten stürmte in das Zimmer und man brachte uns nun einzeln in verschiedene Räume, wo wir buchstäblich bis unter die Haut durchsucht wurden. Gleichzeitig verhörte mich einer der Beamten nach dem Ziel unserer Reise und einer Million anderer Dinge. Ich wusste bald nicht mehr, wo mir der Kopf stand und antwortete nur noch wie ein Roboter auf die Fragen.

Aber irgendwie mussten sie nach über einer Stunde intensivster Prüfung unserer Sachen und Pässe endlich zu dem Schluss gekommen sein, dass unsere Aussagen stimmten und dass wir doch nichts Böses im Schilde führten, sondern tatsächlich einfach drei unrasierte Freunde auf einer ungewöhnlichen Urlaubsreise waren. Wir durften uns wieder anziehen und unsere Sachen einpacken und die Sicherheitsbeamten taten dabei so, als wäre Nichts geschehen.

Ein Blick auf die große Uhr, die über der Tür hing, verhieß nichts Gutes. In fünf Minuten sollte unser Flieger eigentlich abheben. Das würden wir wohl kaum noch schaffen. Doch eine junge Frau, die scheinbar von der Fluggesellschaft geschickt worden war, beteuerte uns, dass wir es noch schaffen könnten. Also ließen wir unsere mehr schlecht als recht zusammengepackten Seesäcke zurück, nachdem uns zugesichert wurde, dass sie noch rechtzeitig ins Flugzeug gebracht würden und liefen im Laufschritt durch das Terminal zum Gate. Im Nachhinein wünschte ich, hätten wir doch den Flug nur verpasst ...

Sofort nach unserem Eintreten wurde die Tür geschlossen und kurz darauf setzte sich der Flieger mit etwas Verspätung auch schon in Bewegung. Als wir dann endlich auf unseren Plätzen saßen, brachen wir erst einmal in Lachen aus und konnten uns trotz der bösen Blicke einiger der um uns herum sitzenden Passagiere erst Minuten später wieder beruhigen. Die Erleichterung darüber, dass es jetzt trotz des verkorksten Starts losging, machte sich auf diese Weise Luft.

Von dem Flug nach Atlanta bekam ich nicht viel mit, da ich nach der durchgemachten Nacht sofort einschlief und selbst dann nicht aufwachte, als die Stewardessen das Essen austeilten. Ich glaube, Falk ging es nicht anders. Nur Andy machte die ganze Zeit kein Auge zu, sondern spielte mit seinem Smartphone herum. Aber wenigstens ließ er uns in Ruhe schlafen.

In Atlanta hatten wir über fünf Stunden Aufenthalt. Das fühlte sich an wie eine halbe Ewigkeit. Wider Erwarten wurden wir nicht noch einmal gefilzt, obwohl uns das wahrscheinlich gar nicht verwundert hätte. Als wir dann endlich wieder im Flugzeug saßen und das Rollfeld passiert hatten und darauf warteten, dass das Flugzeug starten würde, ging es nicht mehr weiter. Durch die kleinen Fenster der Boeing 747 konnten wir schließlich auch den Grund dafür erkennen. Draußen zog ein Gewittersturm auf, der einen Start unmöglich machte. Der Himmel verfinsterte sich innerhalb von Minuten und grelle Blitze zuckten zwischen den schwarzen Wolken hin und her. Regen prasselte mit einer solchen Intensität auf den Rumpf des Flugzeuges, dass man sich kaum mehr unterhalten konnte. Dazu fegte noch ein äußerst kräftiger Wind über uns hinweg. Ich glaube, dass bestimmt keiner der Passagiere auch nur den entferntesten Wunsch verspürte, bei diesem Wetter zu starten. Entsprechend ruhig verhielten sich auch alle.

Nur die viertelstündlichen Durchsagen des Flugkapitäns, dass das Unwetter den Start weiterhin verzögerte, unterbrachen ab und zu die Tristesse des Wartens. Nach endlos langen zwei Stunden teilte der Pilot schließlich mit, dass unser Flug soeben aufgrund des Wetters gestrichen wurde und wir zum Terminal zurückkehren müssten. Während sich das Flugzeug langsam in Richtung Flughafengebäude in Bewegung setzte, war der Regen fast schlagartig zu Ende und der Himmel klarte wieder ein wenig auf. Kurz darauf schallte die Durchsage des Piloten durch die Lautsprecher, dass wir soeben doch noch eine Starterlaubnis bekommen hätten. Das Flugzeug wendete umgehend und kehrte zur Startbahn zurück.

Auch wenn der Wind inzwischen nachgelassen hatte, pfiff er trotzdem noch bedrohlich kräftig über die Betonpiste, sodass sich viele der Passagiere ängstlich anschauten oder verkrampft in ihre Sitze pressten, als die Düsen losheulten und der Flieger beschleunigte. Schon ein paar Sekunden nach dem Take-off wurde die Maschine von einer kräftigen Windböe erfasst und ordentlich durchgeschüttelt. Dabei neigte sich die rechte Seite bedrohlich nach unten. Vereinzelte hysterische Aufschreie mischten sich mit dem zornigen Aufheulen der Triebwerke. Von den Reaktionen der Erwachsenen angestachelt, fingen nun auch gleich mehrere kleinere Kinder auf einmal an, laut zu weinen.

Der Pilot meisterte die Situation jedoch ohne ernsthafte Probleme und schon nach kurzer Zeit erreichte der Jumbojet etwas ruhigere Luftschichten. Dennoch blieb der Flug extrem rau. Es fühlte sich so an, als ob wir von einer Turbulenz in die Nächste gerieten. Nicht wenige der Fluggäste machten deshalb recht regen Gebrauch von den speziellen Tütchen. Selbst die Stewardessen, die stets lächelnd die Tüten wegbrachten und versuchten, die aufgewühlten Passagiere zu beruhigen, wirkten ziemlich angespannt.

Es ist mühselig, darüber nachzusinnen, ob diese vielen Pannen uns von unserem Vorhaben hätten abbringen müssen. Fakt ist aber, dass Murphys Gesetz - 'Was schief gehen kann, das geht auch schief!' - in meinem Fall tatsächlich zutrifft. Und es war noch längst nicht das Ende der Fahnenstange erreicht!

Als wir dann den Westen der USA überflogen, beruhigte sich das Wetter endlich und der Rest des Fluges verlief ohne weitere Zwischenfälle. Nach der Landung und Abfertigung mussten wir noch Ewigkeiten auf unsere Seesäcke warten. Wir hatten schon die Befürchtung, dass sie in München nun doch nicht mehr rechtzeitig zum Flugzeug gebracht worden waren. Aber solange man noch einzelne Gepäckstücke auslieferte, wurden alle unsere Anfragen abgewiesen mit dem netten Hinweis, dass wir doch noch etwas Geduld haben sollten. Und tatsächlich tauchten sie kurze Zeit später auf dem Band auf. Als wir wenig später als wahrscheinlich Letzte endlich aus dem Flughafengebäude heraustraten, war von dem Fahrer, der uns abholen und zum Hotel bringen sollte, weit und breit nichts mehr zu sehen. Bestimmt war er des langen Wartens überdrüssig geworden und hatte angenommen, dass wir nicht mehr kommen. Schließlich summierte sich unsere Verspätung alles in allem zu fast vier Stunden auf.

Wir nahmen das nächstbeste Taxi und versuchten, dem Fahrer zu erklären, wo wir hinwollten. Doch irgendwie schien der nur Bahnhof zu verstehen. Nach dreißig Minuten Irrfahrt durch die dunkle Stadt hielt er plötzlich an und meinte, dass wir am Ziel wären. Von unserem Hotel war weit und breit keine Spur zu sehen. Abgesehen davon vermittelte die Gegend nicht wirklich den Eindruck, dass man als Tourist hier in der Nacht allein unterwegs sein wollte. Die Krönung dessen war dann schließlich, dass der Fahrer mehr Geld sehen wollte, bevor er weiterfahren würde. Zum Glück hatten wir aber Falk dabei! Er textete den Fahrer derart zu und machte ihm ziemlich lautstark klar, dass er keinen müden Dollar bekommen würde, bevor wir nicht an unserem Hotel angekommen wären.

Erstaunlicherweise funktionierte das auch. Aber schließlich waren wir ja zu dritt und er nur allein. Keine Ahnung, ob das oder doch Falks Auftreten den Ausschlag gegeben hatte. Dreißig weitere Minuten später standen wir dann im Foyer unseres Hotels, nachdem wir dem Taxifahrer trotz allem noch einen unverschämt hohen Preis für die einstündige Irrfahrt zahlen mussten. Und das auch ohne den von ihm geforderten 'Aufschlag'!

Mein Zeitgefühl war durch die lange Reise derart durcheinandergeraten, dass ich nicht hätte sagen können, wie spät es tatsächlich war. Ich wusste nur eines: Ich war müde - todmüde! Aber das ging nicht nur mir so. In unserem Zimmer angekommen, fielen wir auf unsere Betten und schliefen ein, ohne zuvor unsere Sachen auszuziehen.

Als wir dann irgendwann nach ein paar Stunden wieder erwachten, stand die Sonne schon recht hoch am Himmel und die tieffliegenden Flugzeuge ließen vermuten, dass wir uns ganz in der Nähe des Flughafens befinden mussten. Wie schon befürchtet, hatte uns der Taxifahrer letzte Nacht also doch ganz ordentlich übers Ohr gehauen.

Nach dem Essen wurden wir, diesmal von dem richtigen Fahrer, abgeholt und er brachte uns in ein kleines Fischerdorf, wo wir zum ersten Mal unseren Skipper Makani Halamoni trafen. Er war ein kleiner, aber ziemlich muskulöser Mann mit sonnengebräunter Haut. Außer einer bunten Hose und lockeren Sandalen trug er keine weitere Kleidung. Seine langen, schwarzen, fein gelockten Haare hingen ihm bis weit über die Schultern. Das Auffälligste an ihm war aber sein ansteckendes Lachen, das sein ganzes Gesicht ausfüllte. Im Garten hinter dem kleinen Haus tobten seine drei kleinen Kinder fröhlich herum. Aus dem Eingang des Hauses schaute eine hübsche, jugendlich wirkende Frau mit einer großen rosa Blüte im Haar zu uns herüber.

Gleich hinter dem Garten begann der Strand und das türkis-blaue Meer. An einem langen, hölzernen Steg lag eine prächtige Segeljacht - unser Zuhause für die kommenden Wochen. Makani, was übersetzt 'Wind' bedeutet, wie er später erzählte, half uns dabei, die Seesäcke an Bord zu bringen. Alles andere hatte er bereits vorbereitet, sodass wir noch am gleichen Tag in See stechen konnten. Auch Jim, Matthew und Sean, zwei Amerikaner und ein Australier, die am Vortag angekommen waren und mit uns zusammen diese Reise unternehmen wollten, hatten sich in ihren Kajüten bereits eingerichtet.

Das Gefühl, unter strahlend blauem Himmel mit einer sanften Brise im Rücken nahezu geräuschlos über die Wellen zu gleiten, war einfach unbeschreiblich. Im Nu waren der Stress und die Probleme der Reise vergessen. Neben Makani waren noch Kanoa und Sami, zwei weitere Einheimische, mit an Bord gekommen, um uns auf unserer Tour zu unterstützen und anzuleiten, bis wir alle Dinge selbst sicher beherrschten. Schon sehr bald merkten wir, dass wir durch unseren Segelkurs zwar die Grundlagen gelernt hatten, uns aber sämtliche praktische Erfahrung fehlte. Die anderen Drei waren auf jeden Fall erfahrener als wir. Doch da Segeln Teamwork ist, mussten alle mit zupacken. So dauerte es auch gar nicht lange, bis auch bei uns die wichtigsten Handgriffe sicher saßen. Bald schon keimte in uns sogar das Gefühl auf, dass wir eigentlich die perfekten Seeleute sein mussten und quasi bereit waren für größere Herausforderungen.

Der Wind nahm am nächsten Morgen spürbar zu. Dadurch wurde auch die See deutlich rauer und die Wellen erreichten bald Höhen von ein bis zwei Metern. Kanoa, Sami und Makani schienen begeistert darüber zu sein, aber uns Landratten kam es schon wie ein schlimmer Sturm vor, was wir auch aussprachen.

»Das ist doch kein Sturm!«, erwiderte Makani lachend, »Das ist doch höchstens eine steife Brise!«

Besonders schlimm erwischte es Jim und Falk. Kreidebleich hingen sie fast die ganze Zeit mit ihren Köpfen über der Reling und fütterten die Fische mit halb verdauten Speisen, bis endlich nichts mehr rauskam. Von da an lagen sie nur noch in ihren Kojen und waren zu nichts zu gebrauchen. Uns Anderen drehte sich zwar auch ab und zu der Magen um, doch die drei Hawaiianer hielten uns trotzdem ordentlich auf Trapp und das Schiff auf Kurs. Als sich im Laufe des Tages der Wind wieder abschwächte und auch das Schaukeln nachließ, erholten sich alle schnell wieder und wir feierten es als unsere Seetaufe. Gegen Abend tauchte am Horizont eine Insel auf. Sicher brachte Makani unsere Jacht an mehreren spitzen Klippen vorbei in eine geschützte Bucht, wo wir für die Nacht ankern wollten.

Am nächsten Tag umsegelten wir einmal die ganze Insel und Makani, Sami und Kanoa nutzen die Zeit, um uns noch einmal so richtig zu drillen, bis wir alle Arbeiten und Handgriffe wie im Schlaf beherrschten. Nachmittags flaute der Wind noch weiter ab und wir mussten sogar den kleinen Hilfsdiesel anwerfen, um die Bucht, in der wir schon die vorangegangene Nacht vor Anker gelegen hatten, wieder zu erreichen. Da wir jetzt sowieso festsaßen, machten wir einfach aus der Not eine Tugend, indem wir kurzerhand einen längeren Landgang antraten.

Nicht weit von der Bucht entfernt lag ein idyllisches Dorf. Umgeben von Feldern und Urwald bestand es aus nicht viel mehr als ein paar Dutzend Hütten. Die Gastfreundschaft der Inselbewohner war phänomenal. Jeder von uns wurde mit einer Blumenkette begrüßt und wir wurden von allen herzlich umarmt, als wären wir geliebte Familienmitglieder oder zumindest gute Freunde. Und auch die Speisen, die sie uns vorsetzten, waren mindestens genauso köstlich wie exotisch für uns. Die Nacht verbrachten wir in den kleinen Hütten auf der Insel.

Schon früh am darauf folgenden Morgen wurden wir von Makani geweckt. Der Wind war wieder stärker geworden und wehte in südöstlicher Richtung. Unser Käpt'n trieb uns etwas zur Eile an, da der Wetterbericht für die kommende Woche einen Sturm voraussagte. Makani war sich jedoch ganz sicher, dass wir es noch locker schaffen würden, unser nächstes Ziel, eine andere Inselgruppe, zu erreichen. Der Wind war gut und so machten wir prächtig Fahrt. Obwohl die See wieder etwas rauer wurde, bekam keiner von uns stärkere Probleme.

Die Dorfbewohner gaben uns noch einige Kisten mit Speisen mit, sodass wir in den kommenden Tagen würden weiter schlemmen können, ohne dass jemand von uns allzu viel Zeit in der Kombüse verbringen musste. Die nächsten zwei Tage waren eigentlich die Besten unserer ganzen Reise. Der Wind wehte gleichmäßig, aber auch nicht zu stark, dazu strahlend blauer Himmel mit ein paar vereinzelten weißen Wölkchen und unter uns das azurblaue Meer. Ab und zu kreuzte eine Gruppe Delfine unseren Kurs und schwamm dann für einige Zeit in unserem Kielwasser mit. Auch Schwärme von fliegenden Fischen bekamen wir meist in der Ferne, aber einmal auch direkt um uns herum, zu Gesicht. Dabei landeten drei von ihnen unfreiwillig auf dem Deck und bereicherten so unseren Speiseplan.

Die Probleme bei unserer Anreise waren längst vergessen und wir genossen die unendliche Freiheit und Weite des Ozeans. Doch war dieser schöne Umstand nicht von langer Dauer. Ganz plötzlich flaute der Wind ab und für etwas mehr als eine Stunde herrschte völlige Windstille. Hoch oben rasten aber viele kleine Wolken in südsüdöstlicher Richtung über den Himmel wie Schafe, die auf der Flucht vor dem Wolf sind. Makani und Kanoa beobachteten das Wetterphänomen mit besorgten Gesichtern und zögerten keinen Moment, den Hilfsdiesel anzuwerfen, um die erste Insel der Inselgruppe, die wir ansteuerten und die als kleiner Punkt schon am Horizont zu sehen war, so schnell wie möglich zu erreichen. Dabei stritten die Zwei miteinander, was zu tun sei. Kanoa warnte davor, dass ein plötzlicher Sturm aufziehen würde und wir unser Schiff dafür bereit machen sollten. Makani war sich hingegen sicher, dass der Wind gleich wieder einsetzen würde. Von einem Sturm wollte er zumindest im Moment nichts wissen. Deshalb gab er die Anweisung, trotz der Flaute die Segel entsprechend zu setzen, damit wir beim Einsetzen des Windes sofort bereit wären und schnell die Insel erreichen könnten, bevor das Unwetter losbrechen würde.

Währenddessen tuckerte der Diesel vor sich hin und brachte uns trotz Windstille langsam unserem Ziel näher. Aber ohne die Unterstützung des Windes würden wir ganz sicher noch mehrere Stunden brauchen, um die Insel zu erreichen.

Genauso plötzlich, wie der Wind verschwunden war, brach er jetzt wieder über uns herein. Das Schlimme daran war jedoch, dass er die Richtung gewechselt hatte und uns jetzt mit seiner vollen Wucht entgegen blies.

»RAFFT SOFORT DIE SEGEL! SCHNELL!«, kommandierten Makani und Kanoa gleichzeitig. Makani, der am Steuer stand, musste seine ganze Kraft einsetzen, um das Schiff auf Kurs zu halten. Jetzt zeigte sich, dass es ein großer Fehler gewesen war, die Segel während der Flaute stehen zu lassen. Da der Wind plötzlich aus einer anderen Richtung wehte, schlug das Hauptsegel nach hinten um. Jim, der nur ein paar Schritte vom Mast entfernt an der Reling stand und auf das Meer hinausblickte und dabei die nahende Gefahr nicht bemerkte, wurde hart am Kopf getroffen und ging über Bord.

»MANN ÜBER BORD! MANN ÜBER BORD!«, schrie Andy, so laut er konnte. Kanoa, der sich gerade auf der gleichen Seite der Jacht befand, griff sich ein auf dem Deck zusammengerollt daliegendes Seil und band es sich in Windeseile in einer Schlaufe um seinen Bauch.

»MACH DAS ANDERE ENDE FEST!«, rief er mir noch zu, weil ich gleich in der Nähe stand, und sprang Jim hinterher, der bewusstlos auf dem Wasser trieb. Für einen Moment stand ich wie angewurzelt da, unfähig auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Plötzlich wurde mir aber bewusst, dass sich Kanoa gleich ebenfalls ohne Sicherung im Wasser befinden würde, da das andere Ende des Seiles jetzt frei über das Deck glitt und jeden Moment über die Reling rutschen würde. Mit einem beherzten Sprung gelang es mir in letzter Sekunde, das Ende zu ergreifen und festzuhalten.

»Helft mir! Wir müssen das Seil schnell irgendwo festmachen! Schnell! Kommt doch endlich! ICH KANN ES NICHT MEHR HALTEN!«

Gerade noch rechtzeitig kamen Sami, Matthew, Andy und Falk zur Hilfe und packten mit zu. Mit vereinten Kräften gelang es uns dann, das Seil zur Sicherheit an der Reling festzubinden. Kanoa hatte in der Zwischenzeit Jim erreicht und zog ihn zu sich heran, sodass sein Kopf über dem Wasser war.

»Zieht! ... Zieht uns heraus!«

Mit vereinten Kräften hatten wir die Zwei schon bald wieder an Bord zurückgeholt. Jim war noch immer bewusstlos. Sein Gesicht war mit Blut verschmiert, welches von einer Platzwunde auf seiner Stirn herrührte. Aber wenigstens atmete er! Doch wir kamen gar nicht dazu, uns groß Gedanken zu machen. Der Wind nahm in beängstigender Geschwindigkeit weiter zu und gleichzeitig wurde auch die See rauer. Da die Segel immer noch nicht richtig gesetzt waren und zum Teil chaotisch hin und her flatterten, hatte Makani, der weiter am Steuer stand, große Mühe, die Jacht unter Kontrolle zu bringen.

»EINER BRINGT JIM UNTER DECK ... UND KÜMMERT SICH UM IHN ... DIE ANDEREN RAFFEN DIE SEGEL ...«, kommandierte unser Skipper so laut er konnte, da das Pfeifen des Windes und das Tosen der aufgewühlten See inzwischen so laut geworden waren, dass man sich kaum noch normal verständigen konnte.

Ich wurde kurzerhand bestimmt, mich um Jim zu kümmern, der gerade wieder zu sich kam und hilflos um sich blickte. Die Worte, die er vor sich hin lallte, waren gänzlich unverständlich.

Am Horizont türmten sich bereits haushohe Wellenberge auf und unser Schiffchen wurde schon mehrmals von Wasser überspült, wenn eine sich brechende Welle gegen den Rumpf der Jacht krachte. Durch die falsch im Wind stehenden Segel nahm unser Boot jetzt eine bedrohliche Schräglage ein. Kanoa, Sami und die Anderen von uns bemühten sich zwar, die Segel einzuholen, aber was bei schönem Wetter eigentlich kein Problem darstellte, erwies sich jetzt als kaum lösbare Aufgabe. Da ein Seil aus seiner Führung gesprungen war und sich hoffnungslos verfangen hatte, hing eines der Hauptsegel auf Halbmast und blockierte damit auch die anderen Segel. So musste Kanoa trotz des starken Windes den Mast erklimmen, um das Problem zu lösen, während die Anderen sich an der Reling festklammerten, um nicht von den Wellen fortgespült zu werden, die immer wütender über unsere kleine Jacht hereinbrachen.

Ich schaffte unterdessen Jim in seine Koje. Der Boden unter meinen Füßen schwankte dabei jedoch so stark, dass ich mich kaum auf den Beinen halten konnte und wie ein Betrunkener über den Gang torkelte. Als Erstes musste ich mich darum kümmern, seine noch immer stark blutende Wunde zu versorgen. Gerade, als ich einen der Sanikästen öffnete, um mir das benötigte Verbandszeug zu holen, brach eine riesige Welle über das Schiff herein und legte es auf die Seite. Unkontrolliert flog ich durch die Kajüte und mit mir das gesamte Erste-Hilfe-Sortiment und alles Andere, was noch so herumlag. Ich kam erst zum Liegen, als ich dumpf mit dem Kopf gegen einen der Einbauschränke stieß. Für einen Moment wurde mir schwarz vor Augen und ich verlor kurz das Bewusstsein. Ein Schwall Wasser, der durch eines der kleinen Fenster spritzte, das durch die Wucht der Welle zertrümmert worden war, brachte mich allerdings sofort wieder zurück. Entfernt hörte ich verzweifelte Schreie meiner Freunde, die sich mit dem ohrenbetäubenden Getöse des aufgewühlten Meeres und des Windes vermischten.

Noch bevor ich mich aufrappeln und ihnen zu Hilfe eilen konnte, brach schon die nächste, noch größere Monsterwelle über uns herein. Ihre Wucht drehte die Jacht noch weiter herum, sodass sie jetzt kieloben durch die wild gewordene See trieb. Wieder wurde ich herumgewirbelt, doch gelang es mir quasi im Vorbeiflug, mich an einer metallenen Querstrebe festzuklammern, wodurch ich dem harten Aufprall wie beim letzten Mal weitgehend entging. Jim hatte offensichtlich nicht das Glück, denn er flog an mir vorbei und krachte mit dem Kopf gegen eine der Säulen, die die Fortsetzung der Segelmasten waren. Ohne dabei irgendeinen Ton von sich zu geben, sackte er in sich zusammen und blieb reglos liegen.

Zu meinem Erstaunen hatte die Kajüte auch das weitgehend schadlos überstanden. Zumindest so weit, wie ich es einsehen konnte. Wäre da nicht das eine kleine Fenster gewesen, welches bei der vorigen Welle geborsten war! Jetzt, wo es sich unter Wasser befand, schoss ein Strahl, so dick wie ein Baumstamm, in den Innenraum und es konnte höchstens Minuten dauern, bis so viel Wasser hereingelaufen sein würde, dass das Schiff unweigerlich sinken und mich mit sich in die Tiefen des Ozeans reißen müsste. Schon jetzt stand das Wasser gut einen halben Meter tief und man konnte zusehen, wie es von Sekunde zu Sekunde weiter stieg. Niemand, der sich nicht bereits ebenfalls schon einmal in einer ähnlichen Situation wiedergefunden hatte wie ich, kann sich die Ohnmacht und Panik auch nur ansatzweise vorstellen, welche mich befiel. Ich war mir plötzlich bewusst, dass die letzten Minuten oder gar nur Sekunden meines Lebens angebrochen waren und jeglicher Mut verließ mich in Anbetracht dieser ausweglosen Lage.

 

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