• Airport - Gegen die Zeit

    Der neue Thriller von Steeve M. Meyner

  • Airport - Gegen die Zeit

    Wie weit würdest Du gehen, um Deine Familie zu retten?

  • Airport - Gegen die Zeit

    Wem würdest Du trauen, wenn Dir keiner glaubt?

  • Airport - Gegen die Zeit

    Was würdest Du tun, wenn plötzlich alles von Dir abhängt?

Kapitel 3

7:06 Uhr
Terminal 1, Flughafen München

Etwas mehr als zehn Minuten waren bereits seit der ersten Durchsage vergangen, doch noch immer waren weder Norberts Frau noch die Kinder aufgetaucht. Die junge Frau am Servicepoint hatte den Ausruf bereits zweimal wiederholt. Erfolg hatte es nicht gebracht.

»Ich kann im Moment leider nicht mehr für sie tun. Sie müssen sich einfach noch etwas gedulden«, versuchte sie, Norbert zu beruhigen, der immer nervöser wurde.

»Etwas gedulden? Sie sind gut! Ich gedulde mich schon seit einer halben Ewigkeit. Ich kann nicht länger warten. Unser Flieger geht in anderthalb Stunden.«

»Ich verstehe ihre Aufregung«, startete die Frau noch einen weiteren Versuch, »Aber mehr kann ich leider im Moment nicht für sie tun. Wirklich! Es tut mir leid.«

Am liebsten hätte Norbert sie angeschrien, so aufgewühlt war er. Und wütend! Wütend auf Sariah, dass sie nicht an der Stelle geblieben war, wie sie es vereinbart hatten, aber auch wütend auf sich selbst, dass er die Reise nicht so geplant hatte, dass alles vernünftig klappte. Irgendwie war er aber auch wütend auf den Mercedesfahrer, dessen Rücksichtslosigkeit bereits den Beginn des Tages restlos verdorben hatte.

»Okay. Länger kann ich hier nicht warten und tatenlos herumstehen. Wenn sie etwas von meiner Frau hören, können sie mich vielleicht auf meinem Handy anklingeln? Ja? Bitte?«

»Eigentlich geht das nicht«, antwortete die junge Frau und lächelte dabei etwas verlegen, »aber schreiben sie ihre Nummer hier auf den Zettel. Ich schaue dann, was ich machen kann, wenn ich etwas erfahre. Okay?«

Ihre Antwort fühlte sich ehrlich an. Doch das nutzte Norbert im Augenblick nicht viel. Immerhin war es besser als gar nichts.

Nachdem er seine Nummer auf den Zettel der Frau gekritzelt hatte, lief er los. Zielstrebig steuerte er die Check-in-Schalter ihrer Fluggesellschaft an.

Nur drei der sieben Schalter für die Gepäckannahme waren besetzt. Davor schlängelte sich eine lange Schlange wartender Fluggäste in mehreren Schleifen durch die Empfangshalle.

Vielleicht hatte Sariah ja die vielen Leute gesehen und sich mit den Kindern gleich angestellt, schoss es Norbert beim Anblick der Menschenmassen durch den Kopf. Dann wäre seine Suchaktion reichlich unsinnig gewesen.

So schnell es ging, lief er an der äußeren Absperrung auf und ab in der Hoffnung, seine Familie irgendwo in der Schlange zu finden. Doch weder Sariah noch eines seiner Kinder konnte er entdecken.

Gerade, als er ein weiteres Mal an der Absperrung entlanglaufen wollte, um die Menge nach Mitgliedern seiner Familie zu durchsuchen, wurde er von einem dunkelhäutigen Mann in der Uniform der Fluggesellschaft angehalten.

»Entschuldigen sie, junger Mann. Kann ich ihnen behilflich sein?«, fragte dieser sehr höflich. Trotzdem war unüberhörbar, dass er etwas wollte.

»In der Tat können sie mir helfen«, antwortete Norbert. Etwas Hoffnung keimte in ihm auf. »Ich suche meine Familie.«

»Sie haben einen Flug mit Air Berlin gebucht?«, fragte der Servicemann der Fluggesellschaft nach.

»So ist es, sonst würde ich ja nicht hier nach ihnen suchen«, antwortete Norbert etwas ungeduldig.

»Herr ...«

»Lang, Norbert Lang.«

»Gut. Herr Lang, sie verstehen ganz sicher, dass ich ihnen ein paar Fragen stellen muss, wenn ich ihnen helfen soll.«

»Ja, schon klar. Ich bin nur etwas durch den Wind, da ich schon seit über einer Stunde ohne Erfolg nach ihnen suche. Unser Flieger geht bereits in weniger als einer anderthalben Stunde«, entschuldigte sich Norbert.

»Ihre Bordkarten haben sie bereits?«

»Ja, die habe ich schon zu Hause ausgedruckt. Aber das Gepäck müssen wir ja trotzdem an den Schaltern abgeben. Sonst würde ich sie ja nicht hier in der Schlange suchen.«

»Okay, können sie mir ihre Buchung zeigen?«

»Die hat meine Frau bei sich. Wie alle anderen Papiere auch.«

»Haben sie irgendwelche Reisedokumente bei sich?«

»Ich sagte doch gerade, dass alles bei meiner Frau ist«, erwiderte Norbert gereizt.

»Herr Lang«, entgegnete der Mitarbeiter der Fluggesellschaft ruhig, aber doch bestimmt, »Ich möchte ihnen ja wirklich sehr gern helfen, aber ...«

»Oh, ich glaube, da vorn sind sie. Trotzdem vielen Dank.«

Ohne eine Antwort des Mannes abzuwarten, rannte Norbert los. Auf der gegenüberliegenden Seite der Menschenmenge hatte er für einen kurzen Moment die blonden Haare von Sariah mit der hochgesteckten Sonnenbrille gesehen. Bevor er ihre Position wieder aus den Augen verlieren würde, lief er auf dem kürzest möglichen Weg dort hin.

Er hörte zwar noch, dass der Mann ihm etwas hinterher rief, doch er hielt seine Augen weiter auf die Stelle fokussiert, wo er seine Frau gesehen hatte. Beim Rennen schmerzte seine Zehe wieder etwas und erinnerte ihn an den Metallpoller.

Es dauerte nur wenige Sekunden, bis er die Stelle erreichte, wo er Sariah für einen kurzen Moment gesehen hatte. Doch von ihr und den Kindern fehlte jede Spur.

»Sariah!«, rief er in die Menge hinein, doch niemand antwortete ihm.

Nicht weit von ihm entfernt tauchte dann plötzlich doch Sariahs Kopf auf. Sie blickte in die entgegengesetzte Richtung, sodass er ihr nicht ins Gesicht schauen konnte.

»Sariah!«, rief er noch einmal in die Menge und versuchte dabei, den Umgebungslärm zu übertönen, doch auch diesmal reagierte sie nicht auf seinen Ruf.

Also kletterte Norbert kurzerhand unter der Absperrung hindurch und bahnte sich seinen Weg durch die durch das lange Schlangestehen ziemlich gereizten Menschen. Er hatte Sariah noch nicht erreicht, als bereits die Ersten der wartenden Passagiere ihren Unmut darüber lautstark äußerten.

Norbert ließ sich davon nicht beirren. Sollten sie doch meckern und schimpfen. Sein Ziel vor Augen drängelte er sich einfach weiter, bis er Sariah endlich erreicht hatte.

Behutsam, aber doch bestimmt, legte er ihr seine Hand auf die Schulter und drehte sie mit einem Ruck zu sich herum.

»Sa ... Oh. Verzeihung! Ich dachte, sie wären jemand anders.«

Erst jetzt fiel ihm auf, dass die Frau eine ganz andere Jacke trug als Sariah. In seiner Aufregung hatte er sich so auf die blonden Haare und die Frisur konzertiert, welche Sariahs Haarschnitt in der Tat zum Verwechseln ähnelte, dass er das ganze Drumherum gar nicht beachtet hatte. Die junge Frau blickte ihn erschrocken, ja fast ein wenig ängstlich an.

»Hey, was soll das? Wieso grapschst du einfach meine Freundin von hinten an?«

Ein Mann, der sicher ein paar Jahre jünger war als Norbert, schob sich zwischen ihn und die junge Frau, die ihn noch immer ganz verwirrt anstarrte.

»Ich hab doch gerade gesagt, dass es eine Verwechslung war und dass es mir leidtut«, rechtfertigte sich Norbert, ließ die Zwei einfach stehen und kämpfte sich unter den bösen Blicken vieler Reisender aus der Schlange heraus.

»Pass in Zukunft besser auf, wen du wie ein Irrer von hinten angehst, sonst ...«, rief ihm der aufgebrachte Freund der Blondine noch lautstark hinterher.

Es fühlte sich an wie ein Spießrutenlauf, bis er endlich die Absperrung wieder erreicht hatte. Doch hier drohte bereits der nächste Ärger. Der dunkelhäutige Servicemann der Fluggesellschaft, mit dem er bereits gesprochen hatte, erwartete ihn schon. Neben ihm stand eine recht resolute Frau, welche die gleiche Uniform trug wie er.

»Können sie mir erklären, was das gerade eben sollte?«, fragte der Mann, wobei die Freundlichkeit nun aus seiner Stimme gewichen war.

»Ich dachte ... ich wusste ja nicht, dass ... ich hatte gehofft ...«, stammelte Norbert. Natürlich war ihm klar, dass seine Aktion für einen Außenstehenden reichlich eigenartig ausgesehen haben musste. Am meisten ärgerte er sich über sich selbst, dass er auf die fremde Frau losgestürmt war, ohne zuvor genau hingeschaut zu haben.

»Sie können doch nicht einfach über wildfremde Fluggäste herfallen«, setzte die resolute Dame des Bodenpersonals noch nach.

»Erstens bin ich nicht über irgendwen hergefallen und zweitens geht mir die Diskussion mächtig auf die Nerven«, platzte es nun doch aus Norbert heraus. »Meine Frau und meine Kinder sind verschwunden und ich bin seit über einer Stunde auf der Suche nach ihnen. Nebenbei geht unser Flieger in knapp einer Stunde. Nehmen sie es mir also bitte nicht übel, aber ich habe im Moment beim besten Willen keinen Nerv für solche Diskussionen.«

Das Gesicht des Flughafenangestellten verfinsterte sich noch etwas mehr. Ganz offensichtlich war er von Norberts Gefühlsausbruch nicht angetan. Trotzdem blieb er äußerlich ganz gelassen.

»Herr Lang. Bleiben sie bitte ruhig. Sie brauchen sich nicht aufzuregen ...«

Die Wortwahl und die übertriebene Ruhe brachten Norbert nun erst recht auf die Palme. Er machte sich ernsthafte Sorgen um seine Frau und seine Kinder und dabei sollte er ganz ruhig bleiben? Obwohl ihm danach war, seinen Dampf sofort abzulassen, atmete er tief durch, bevor er antworte. Offensichtlich schien die Therapie seiner Psychologin doch etwas Wirkung zu zeigen.

»Okay, okay. Ich rege mich nicht auf. Ich muss jedoch meine Frau und meine zwei Kinder finden. Wenn sie mir helfen wollen, dann helfen sie mir herauszufinden, ob meine Frau bereits die Koffer aufgegeben hat oder nicht.«

Für einen Moment schien der Servicemann sich unschlüssig zu sein, doch dann gab er schließlich nach.

»Gut. Folgen sie mir bitte.«

7:28 Uhr
Serviceschalter Air Berlin, Flughafen München

»Können sie mir bitte sagen, ob meine Frau, Sariah Lang, bereits das Gepäck abgegeben hat oder nicht?«, fragte Norbert Lang die junge Frau am Schalter der Fluggesellschaft, zu dem ihn der Servicemann gebracht hatte.

»Reichen sie mir bitte ihre Reiseunterlagen und ihren Pass oder Ausweis.«

»Nicht schon wieder! Genau hier liegt ja mein Problem«, entgegnete Norbert. Dabei versuchte er so ruhig wie nur möglich zu bleiben, obwohl sein Adrenalinspiegel wahrscheinlich gerade wieder einen Höchstwert ansteuerte. »Den ganzen Papierkram hat meine Frau. Und die ist eben wie vom Erdboden verschluckt.«

»Ah. Ich verstehe«, antwortete die junge Frau und wechselte einen kurzen Blick mit dem dunkelhäutigen Mann. »Haben sie nicht irgendein Dokument, um sich auszuweisen? Und wenigstens die Flugnummer? Ich darf ihnen sonst aus Sicherheitsgründen diese Information nicht herausgeben.«

»Die Ausweise haben wir bereits in unsere Reisemappe gepackt. Und die hat nun mal meine Frau«, antwortete Norbert der Verzweiflung nahe. »Aber warten sie! Reicht vielleicht auch mein Führerschein?«

Damit war die junge Frau einverstanden. Norbert zog eilig sein Portemonnaie aus der Hosentasche und reichte ihr seine Fahrerlaubnis.

»Okay, wie ist der Name ihrer Frau?«

»Sariah. Sariah Corinna Lang.«

»Reisen sie allein?«

»Nein, mit unseren Kindern, Mirabella und Maurin.«

Damit war die Angestellte erst einmal zufrieden. Ohne Hast tippte sie die Daten in die Tasten ihres Computers, wartete auf eine Antwort, tippte noch etwas und wartete wieder. Schließlich wandte sie sich ihm zu.

»Also, eingecheckt haben alle vier.«

»Das habe ich ja auch schon online von zu Hause aus gemacht.«

»Hmm, von Gepäck sehe ich hier nichts.«

»Heißt das nun, dass noch keine Koffer abgegeben wurden, oder haben sie einfach keine Info?«

»Nein, nein. Wenn Koffer eingecheckt werden, so sehe ich das schon im System. Nein. Bis jetzt wurde kein Gepäck aufgegeben. Zumindest ist es dem Flug noch nicht zugeordnet.«

»Okay, danke«, antwortete Norbert enttäuscht. Seine Hoffnung war gewesen, dass sie sich irgendwie umgangen hatten und Sariah inzwischen wenigstens das Gepäck abgegeben hatte. Dann hätte er zumindest einen Anhaltspunkt gehabt. Doch so wusste er genauso viel wie vorher.

Ein Blick auf die Uhr zeigte, dass ihr Flug in weniger als einer Stunde starten würde. Wenn er nicht bald seine Familie finden sollte, würden sie den Flug wohl verpassen.

Norbert spürte, wie sich ihm langsam der Hals zuschnürte. Im Moment war ihm einfach nur zum Schreien zumute.

Der ganze Tag war bis jetzt eine einzige Katastrophe gewesen. Schon auf dem Weg zum Flughafen hatten sie fast eine Stunde im Stau verbracht. Danach kam es zu der Auseinandersetzung mit dem Mercedesfahrer und schließlich folgte die erfolglose Suche nach seiner Familie. Viel schlimmer konnte es fast nicht mehr werden. Dabei war es ihm inzwischen sogar egal, ob sie ihr Flugzeug schafften oder nicht, wenn er nur endlich seine Familie finden würde.

Dabei sollte dieser Urlaub etwas ganz Besonderes werden. Die letzten Jahre waren weder für ihn noch für seine Frau leicht gewesen. Ohne deren Hilfe hätte er es niemals geschafft. Sie hielt stets zu ihm, selbst dann, als er seine Haftstrafe abzusitzen hatte und sich die Meisten seiner früheren Freunde von ihm distanzierten, als wäre er plötzlich ein ganz schlechter und unerträglicher Mensch geworden.

Sariah machte ihm nie Vorwürfe für das, was passiert war, obwohl er es sogar verstanden hätte. Auch, dass sie sich nicht von ihm getrennt hatte, war für Norbert wie ein Wunder gewesen.

Damals hasste er sich selbst - dafür, dass er sich nicht unter Kontrolle gehabt und dadurch zwei unschuldige Leben ausgelöscht hatte und noch viel mehr für das, was er seiner Familie und ganz besonders seiner Frau angetan hatte.

Sariah hingegen beklagte sich nie darüber. Sie brachte ihn zurück ins Leben, als er kurz davor war, vor Verzweiflung aufzugeben. Einen geduldigeren und liebevolleren Menschen als sie konnte es nicht geben.

Die ersten Jahre nach seiner Entlassung waren alles andere als einfach gewesen. Mit Hilfe von Sariahs Bruder konnten sie zwar ein neues Leben beginnen, doch Norbert fand nur schwer ins Leben zurück. Freunde, mit denen sie sich treffen konnten, hatten sie keine, da Norbert im Gegensatz zu früher regelrecht menschenscheu geworden war. Das Haus verließ er nur, um zur Arbeit zu gehen.

Als es immer schlimmer wurde, sorgte Sariah dafür, dass er eine Therapie bei einer noch recht jungen, aber ambitionierten Psychologin begann. Seiner Skepsis zum Trotz gelang es ihr, dass er die Bereitschaft entwickelte, an seinen Problemen zu arbeiten. Im Laufe der Zeit stellten sich tatsächlich kleine Erfolge ein.

Diese Reise war der erste gemeinsame Familienurlaub seit fast zehn Jahren. Endlich konnte er wieder ein normales Leben führen. Sariah hatte alles vorbereitet. Ihr Ziel war nicht ohne Grund Ibiza. Vor etwas mehr als zwölf Jahren, in ihren Flitterwochen, waren sie schon einmal dort gewesen.

Abrupt wurde Norbert aus seinen Gedanken gerissen. Sein Telefon klingelte. So schnell es ging, fingerte er es aus seiner Hosentasche. Auf dem Display stand nur 'Unbekannter Anrufer'. Vor Aufregung zitterten seine Hände und seinen Herzschlag spürte er bis in seinen Hals.

»Hallo? Hier spricht Norbert Lang!«, nahm er den Anruf entgegen. Dabei hatte er das Gefühl, dass seine Brust vor Aufregung und Anspannung gleich explodieren würde.

»Hey. Nicht so förmlich, Schwager. Ich bin's, Franz. Sitzt ihr eigentlich schon im Flieger?«

»Nein, noch nicht«, antwortete Norbert überrumpelt. Alles Mögliche hatte er erwartet, aber nicht, dass der Bruder seiner Frau ihn jetzt anrufen würde.

»Ja, gut. Ich hatte versucht, Sari anzurufen, aber die Gute geht nicht an ihr Telefon. Kannst du mich mal an sie weiterreichen?«

Für einen Moment überlegte Norbert, ob er seinem Schwager die Wahrheit sagen oder ihn besser doch irgendwie abwimmeln sollte. Schließlich entschied er sich für Letzteres. Aus der Ferne würde Franz sowieso nichts ausrichten können. Wahrscheinlich war er, wie so oft, auf Reisen. Zwei Drittel seines Lebens schien er in Flughäfen und Hotels zu verbringen.

»Geht gerade nicht, sie ist mit Mira dort, wo Frauen eben gern zu zweit hingehen. Du weißt schon. Soll ich was ausrichten?«, log Norbert in der Hoffnung, das Gespräch damit schnell zu einem Ende zu bringen.

»Ist bei euch alles in Ordnung?«, fragte Franz Haper jedoch nach.

»Ja, ja. Nur ein bisschen viel Stress. Du weißt schon. Ich muss erst mal Schluss machen. Wir melden uns, wenn wir im Hotel sind. Ja? Bis später.«

Ohne eine Antwort seines Schwagers abzuwarten, legte er auf und atmete zweimal tief durch. Als er wieder aufblickte, schaute er dem dunkelhäutigen Angestellten der Fluggesellschaft direkt ins Gesicht. Offensichtlich war er ihm gefolgt und hatte vielleicht sogar das Gespräch mit Franz mitgehört. Zumindest legte sein fragender Gesichtsausdruck dies nahe.

»Verfolgen sie mich etwa?«

»Ich verfolge sie nicht, aber ich behalte sie im Auge«, antwortete der Mann ruhig. »Wo wollen sie jetzt hin?«

»Ich suche noch immer meine Familie, falls ihnen das entgangen sein sollte«, entgegnete Norbert genervt von der Beharrlichkeit des Mannes.

»Das klang am Telefon jetzt gerade ganz anders.«

Also doch! Er hatte das Gespräch mitgehört, was seine reservierte Reaktion erklärte.

»Das verstehen sie falsch. Mein Schwager war am Telefon und ich hatte jetzt nicht den Nerv, auch noch mit ihm zu diskutieren«, versuchte Norbert, eine Erklärung zu geben, doch offensichtlich gelang es ihm nicht so recht, den Angestellten der Fluggesellschaft zu überzeugen.

Da Norbert keine Lust auf weitere Diskussionen hatte, lief er einfach los. Als er jedoch noch einmal zu der langen Schlange vor den Abfertigungsschaltern gehen wollte, um ein weiteres Mal zu schauen, ob sich Sariah und die Kinder nicht doch unter den Massen befanden, stellte sich ihm der Servicemann in den Weg.

»Was soll das? Lassen sie mich durch!«, empörte sich Norbert, doch der Mann blieb stehen. Auf einen Wink von ihm eilte auch noch seine Kollegin an seine Seite und postierte sich neben ihm. Ihr grimmiger Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel daran, dass es wenig Sinn machen würde, mit ihr zu verhandeln.

»Entweder haben sie selbst noch etwas einzuchecken, dann stellen sie sich bitte hinten an. Dort drüben! Oder sie gehen zur Sicherheitskontrolle. Dann geht es da lang.«

Eine erneute Diskussion anzufangen, hatte Norbert keine Lust, zumal von vornherein klar schien, was das Ergebnis sein würde. Also ließ er die beiden Angestellten der Fluggesellschaft stehen und lief in Richtung der Sicherheitskontrolle.

7:41 Uhr
Terminal 1, Flughafen München

Unterwegs holte er sein Telefon hervor und rief selbst noch einmal bei Sariah an. Doch auch diesmal meldete sich nur die Mailbox. Einer spontanen Idee folgend, suchte er die Nummer seiner Tochter. Vielleicht hatte sie ja ihr Telefon mitgenommen. Auf jeden Fall klingelte es. Nach dem sechsten Klingeln wurde die Verbindung jedoch unterbrochen, gefolgt von einem Besetztzeichen.

Sofort wählte er noch einmal die gleiche Nummer, aber diesmal antwortete gleich die Mailbox. Scheinbar war das Telefon ausgeschaltet worden.

»Was geht hier vor?«, sagte Norbert fragend zu sich selbst und versuchte ein drittes Mal, bei seiner Tochter anzurufen. Wie bei dem vorangegangenen Versuch meldete sich nur die Mailbox. Obwohl die Telefone offensichtlich ausgeschaltet waren und er nicht wirklich Hoffnung auf Erfolg hatte, schickte er an beide eine SMS, dass sie sofort bei ihm anrufen sollten.

Ratlos und der Verzweiflung nahe, machte Norbert kehrt und lief im Laufschritt zurück in die Eingangshalle des Flughafens. Schwer atmend erreichte er den Serviceschalter, von welchem aus seine Frau schon mehrmals ausgerufen worden war.

»Und? ... Hat sich ... jemand gemeldet?«

»Ich bedauere. Leider nicht«, antwortete die junge Frau freundlich und schaute Norbert mitfühlend an, »Es tut mir leid. Wirklich! Wenn ich ihnen anderweitig helfen kann ...«

»Schon gut. Sie können ja nichts dafür«, antwortete er und zwang sich ein kurzes Lächeln aufs Gesicht, was aber nicht viel mehr als eine Grimasse wurde.

Ein erneuter Blick auf die Uhr ließ es heiß und kalt gleichzeitig in ihm aufsteigen. In einer dreiviertel Stunde würde ihr Flugzeug starten.

In Gedanken ging er noch einmal alle Möglichkeiten durch. Doch keine der Varianten, die er sich ausmalte, erschien ihm schlüssig. Das Einzige, was übrig blieb, war, dass sie sich womöglich mehrmals umlaufen haben mussten und dass Sariah nun doch schon mit den Kindern durch die Sicherheitskontrolle gegangen war.

Noch einmal bei der Fluggesellschaft nachfragen wollte Norbert aber nicht. Die hielten ihn ja sowieso schon jetzt für verrückt. Doch wer sonst sollte ihm eine verlässliche Auskunft geben können, zumal sich sämtliche Reisepapiere bei seiner Frau befanden?

In Gedanken versunken hatte er sich ein Stück vom Infoschalter entfernt, als ihm plötzlich ein Gedanke durch den Kopf schoss. Mit einem Ruck machte er auf dem Absatz kehrt und lief zurück.

»Können sie etwas für mich ausdrucken?«, fragte er die junge Frau, ohne zu warten, bis er an der Reihe war.

»Wie?«, entgegnete diese ihm und schaute ihn verwirrt an.

»Ob sie die Möglichkeit haben, ein Blatt für mich auszudrucken?«, wiederholte er seine Frage ungeduldig.

»Tut mir leid, aber ich habe hier keinen Drucker. Vielleicht fragen sie doch einmal in einem der Reisebüros dort drüben?«

»Okay, trotzdem danke«, verabschiedete er sich eilig und lief los. Auf dem Weg blätterte er in seinem Smartphone die E-Mails der letzten Tage durch, bis er die Bestätigungsmail vom Online-Check-in gefunden hatte. Dort waren die Bordkarten als PDF-Datei angehängt.

Schnell überflog er noch einmal den Text. Dabei las er, dass die Dateien entweder ausgedruckt werden sollten, was er ja bereits getan hatte, oder aber, dass sie per Smartphone auch als digitale Bordkarte verwendet werden könnten. Das war es, was er jetzt brauchte! Wieso war es ihm nicht schon früher eingefallen!

Anstatt in einem der Reisebüros zu versuchen, seine Bordkarte noch einmal ausdrucken zu lassen, lief Norbert ein zweites Mal in Richtung des Eingangs der Sicherheitskontrolle. An der Ticketkontrolle, die er zuvor passieren musste, gab es keine Probleme. Er musste nicht mehr machen, als sein Handy mit der elektronischen Bordkarte über den Scanner zu halten, als er nach ein paar Minuten Schlangestehen endlich an der Reihe war. Seinen Ausweis oder irgendein anderes Dokument wollte niemand sehen, sodass er ohne Schwierigkeiten weitergehen konnte.

7:55 Uhr
Terminal 1, Flughafen München

Vor den sechs Eingängen der Sicherheitskontrolle hatte sich eine beträchtliche Schlange gebildet. Der einzige freie Eingang, der ausschließlich Reisenden der Businessclass vorbehalten war, wurde durch ein Sperrband abgetrennt. Die wenigen Leute, die dort entlang liefen, konnten sich die Wartezeit in der langen Schlange sparen.

Obwohl die Zeit mehr als knapp war, stellte sich Norbert hinten an. Doch schon bald musste er sich eingestehen, dass er es bei der aktuellen Geschwindigkeit niemals rechtzeitig durch die Kontrolle schaffen würde, um seinen Flieger zu erreichen. Wie auf glühenden Kohlen sitzend, schaute er im Minutentakt auf seine Armbanduhr. Warum musste nur gerade jetzt die Zeit so unverschämt schnell rasen?

In Zeitlupe zwängte sich die Menschenmenge durch die Eingänge. Norbert stand bereits kalter Schweiß auf der Stirn. In Gedanken sah er schon, wie sich knapp vor ihm die Türen des Flugzeuges schlossen und Sariah mit den Kindern allein in Richtung Ibiza davonflog.

Der Minutenzeiger seiner Armbanduhr hatte die Drei bereits fast erreicht. In nicht viel mehr als einer viertel Stunde sollte ihr Flugzeug starten. Doch bis dahin würde er wahrscheinlich noch nicht einmal bis zur Sicherheitskontrolle vorgedrungen sein.

Norbert tänzelte von einem Bein auf das Andere, um seine Nervosität abzubauen, doch auch das half nicht weiter. Schließlich kletterte er unter der Absperrung hindurch und lief zu dem freien Zugang, der eigentlich für die Premiumreisenden reserviert war. Die missmutigen Blicke einiger anderer Reisenden in der Warteschlange folgten ihm, doch keiner sagte etwas laut.

Ohne noch einmal nach seiner Bordkarte gefragt oder anderweitig aufgehalten zu werden, gelangte er in die Sicherheitskontrolle. Hastig entleerte er den Inhalt seiner Hosentaschen in eine der Plastikschalen und legte seine Jacke daneben.

Nachdem er den Metalldetektor passiert hatte, musste er noch warten, bis auch seine Sachen endlich die Prüfung durchlaufen hatten. Endlich kam die Schale mit seinen Sachen aus dem Handgepäckscanner. Eine mürrisch blickende Kontrolleurin deutete auf seine Jacke und fragte ihn: »Ist das ihre Jacke?«

»Ja, was ist denn damit?« Ein flüchtiger Blick auf die Uhr zeigte noch acht Minuten bis zum geplanten Abflug.

»Würden sie den Inhalt der Taschen hier auf das Tablett legen?«, fragte die Frau mit völlig emotionsloser Stimme weiter. Sicher musste sie das hunderte Mal am Tag fragen und erntete dafür ebenso oft wenigstens genervte Blicke der Reisenden.

Ohne zu widersprechen, griff Norbert in die Taschen und zog ein Taschentuch, einen Kugelschreiber und seinen Schlüsselbund heraus und legte alles neben die Jacke. Nervös warf er einen weiteren flüchtigen Blick auf seine Uhr. Schon wieder war der Zeiger eine Minute weitergesprungen.

»Sie wissen, dass so was nicht erlaubt ist?«, fragte die Sicherheitsdame mit einem vorwurfsvollen Unterton in ihrer Stimme.

»Was? Was soll nicht erlaubt sein?«

»Das Messer! Sie dürfen keine Messer mit sich führen.«

»Welches Messer denn?« Ungläubig starrte Norbert auf seinen Schlüsselbund. Ein kleiner Brieföffner in Form eines Klappmessers hing neben dem Wohnungsschlüssel. Aufgeklappt war die Klinge keine drei Zentimeter lang. Vor Jahren hatte er ihn einmal als Werbegeschenk erhalten und seither baumelte er vergessen an seinem Schlüsselbund.

»Okay, okay«, entgegnete Norbert entnervt, »Diesen Dolch, ach nein, was sage ich da, dieses Buschmesser stellt natürlich eine massive Bedrohung der Flugsicherheit dar. Das verstehe ich natürlich. Werde ich jetzt verhaftet?«

Für einen Moment musste Norbert sogar selbst etwas über seinen Kommentar schmunzeln. Anders aber die Kontrolleurin! Wenn Blicke töten könnten, wäre Norbert ganz sicher augenblicklich mausetot umgefallen.

»Das sind die Vorschriften. Dafür kann ich nichts. Auch sie müssen sich ...«, entgegnete die Frau trocken und hörbar ungehalten.

»Ist ja gut«, fiel Norbert ihr ins Wort, trennte den Brieföffner von seinem Schlüsselbund und legte ihn auf die Seite. »Ist sonst alles in Ordnung?«

»Sie können das Messer hier zurücklassen oder ...«

»Ja, ja. Machen sie doch damit, was sie wollen. Ich muss mich beeilen, dass ich meinen Flieger noch kriege«, schnitt er der Frau bereits zum zweiten Mal das Wort ab, griff sich die Jacke und seine anderen Sachen und lief zu seinem Gate. Zum Glück fehlte ihm im Moment die Zeit, sich über diese - aus seiner Sicht sinnfreien - Bestimmungen aufzuregen.

Wenn seine Uhr richtig ging, blieben ihm nur noch sieben Minuten. So schnell er konnte und es die vielen anderen Reisenden möglich machten, rannte er durch das Terminal, bis er das Abfluggate erreichte. Unterwegs schaute er natürlich aufmerksam in alle Richtungen, um nicht doch noch an seiner Familie vorbeizulaufen. Sariah oder die Kinder sah er jedoch nicht.

Gerade passierten die beiden letzten Fluggäste den Ausgang. Das Gate war noch nicht geschlossen.

Völlig außer Atem hielt er sein Handy mit der Bordkarte über den Scanner und lief den langen Gang entlang zum Flugzeug. Dort angekommen, wurde er von den lächelnden Stewardessen freundlich willkommen geheißen.

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