Steeve M. Meyner
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2.Kapitel

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Hamburg - Mittwoch, nachts

Nach reichlich vier Stunden hatte die Feuerwehr das brennende Hochhaus gelöscht und erfolgreich verhindert, dass die Flammen auf weitere Etagen übergriffen. Alle Leute, die sich vor dem Feuer auf das Dach des Büro- und Apartmenthauses geflüchtet hatten, waren mit dem Helikopter in Sicherheit gebracht worden. Einige von ihnen, die leichte Verletzungen oder Rauchvergiftungen erlitten hatten, wurden in die umliegenden Krankenhäuser transportiert.

Gert Mayer-Schaumberg, der Einsatzleiter der Hamburger Polizei, war bereits seit mehreren Stunden vor Ort und koordinierte gemeinsam mit dem Feuerwehrhauptmann die Untersuchung des Unglücksortes. Während ein Spurensicherungsteam, das von zwei Brandexperten unterstützt wurde, sofort damit begonnen hatte, nach den Ursachen des Feuers und der Explosion zu forschen, durchkämmten die Feuerwehrmänner gemeinsam mit Polizisten das gesamte Gebäude, um nach möglichen Opfern zu suchen.

Die dritte Etage war fast vollständig ausgebrannt und auch die darüber liegende Vierte wurde ziemlich stark beschädigt. Da die Büros, die sich in den oberen Geschossen befanden, um diese Zeit kaum noch besetzt waren, waren auch nur relativ wenige Personen in dem Haus. Beim Durchsuchen des Gebäudes entdeckte die Feuerwehr einen Mann und eine Frau, die bewusstlos in einem der Büros in der vierten Etage gelegen hatten. Auch wenn der Raum nicht vom Feuer erreicht worden war, hatten sie doch einige Verbrennungen erlitten und wurden mit einer sehr bedrohlichen Rauchvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert.

»Sind die Personalien der Zwei geklärt?«, fragte Mayer-Schaumberg einen der Beamten, der die beiden Opfer nach draußen gebracht hatte.

»Sie trugen weder irgendwelche Papiere noch andere persönliche Dinge bei sich. Es sieht so aus, dass sie wohl eher Schutz in dem Büroraum gesucht hatten, als dass sie dort gearbeitet hätten. Möglicherweise haben sie ja auch etwas mit dem Feuer zu tun?«

»Ja? Wie kommen sie darauf?«, fragte der Einsatzleiter nach.

»Das ist eine Anwaltskanzlei. Und die Zwei sehen nicht wirklich wie Anwälte aus. Oder?«

In der Tat sahen die zwei Opfer eher wie Mitglieder einer Motorradgang aus. Beide trugen schwarze, zum Teil ziemlich abgenutzte Lederbekleidung. Der Mann hatte langes, lockiges, aber ungepflegtes Haar und war an seinen Armen, am Hals und sogar bis in sein Gesicht mit Drachen-Tattoos übersät. Seine muskulösen Oberarme hatten fast den Umfang von kleinen Baumstämmen. Die Frau war eher klein und schmächtig. Ihr strohblondes Haar war kurz geschnitten und stand in alle Richtungen. Auch sie hatte ein Drachen-Tattoo, das fast ihr ganzes Dekolleté und einen Teil des Halses bedeckte. In der Lippe, der Nase und den Ohren trug sie mehrere unübersehbare Piercings.

»Gut. Solange nicht geklärt ist, wer das ist und was sie hier zu suchen hatten, stehen sie unter Bewachung. Danke!«, entschied Mayer-Schaumberg und rief zwei Kollegen herbei, die gerade in der Nähe waren.

»Murrat, Fischer. Sie beide gehen mit in die Klinik und haben ein Auge auf die Zwei hier. Sobald sie vernehmungsfähig sind, will ich umgehend informiert werden.«

»Jo, geht klar, Chef!«, antwortete Murrat, der Jüngere der beiden Beamten, dessen türkische Herkunft nicht zu überhören war. Er war nur knapp über zwanzig Jahre alt und wirkte sportlich und durchtrainiert. Karl Fischer, der Andere der beiden Polizisten, war ein mittfünfziger, kleiner und etwas übergewichtiger Mann, dem schon von Weitem anzusehen war, dass er niemals freiwillig Sport treiben würde. Er schien nicht sonderlich begeistert über den Auftrag zu sein, wollte seinem Vorgesetzten aber auch nicht widersprechen.

Die Spezialisten der Spurensicherung hatten inzwischen damit begonnen, die völlig ausgebrannte Wohnung in der dritten Etage zu untersuchen, um die Ursache des Brandes zu ermitteln und mögliche Indizien für eine Brandstiftung oder verdeckte Straftaten zu sichern.

 

Paris - Mittwoch, nachts

Erleichtert atmete Loreen Burgon auf, als das Flugzeug endlich am Terminal von Paris andockte. Wie sehr sie doch das Fliegen hasste! Das war so, seit sie als achtjähriges Kind das erste Mal mit ihrer Mutter in den Urlaub geflogen war. Dabei hatte sie ihrem Nebenmann einfach so auf die Hosen gebrochen, weil ihre Mutter, und eigentlich alle anderen auch, geschlafen hatten und sie zwischen ihr und dem ebenfalls schlafenden Fremden eingekeilt war. Niemand war da, um ihr beizustehen und zu helfen, als ihr so unendlich schlecht war. Weder ihre Mutter und auch keine von den Stewardessen! Sie hatte es lange unterdrücken können, aber eben nicht lange genug ... Noch immer, fast dreißig Jahre später, konnte sie sich an das fürchterliche Theater erinnern. Ihr damaliger Sitznachbar, ein rüstiger Rentner, der sowieso schon genervt war, weil so eine quirlige Göre neben ihm sitzen musste, hatte fast das ganze Flugzeug zusammengebrüllt und konnte erst vom Piloten höchstpersönlich wieder beruhigt werden.

Seitdem hatte es Loreen weitgehend gemieden, wieder in einen Flieger zu steigen. Die wenigen Male, wo sie doch fliegen musste, hatte sie sich mit irgendwelchen Medikamenten regelrecht eingeschläfert, sodass sie vom Flug kaum etwas mitbekommen hatte.

Außer heute! Den Flug von Hamburg nach Paris, wo ihre Mutter seit ein paar Jahren lebte, hatte sie ganz spontan angetreten. Der Grund dafür war, dass sie von jetzt auf gleich von ihrem Boss die Kündigung erhalten hatte. Sie war darüber so schockiert gewesen, dass sie nicht einmal nach dem Grund gefragt hatte. Den Briefumschlag hatte sie auch nicht geöffnet, sondern so, wie er war, in ihren Rucksack gesteckt.

Seit über sechs Jahren hatte sie als Softwareentwicklerin gearbeitet. Und sie war richtig gut dabei! Gut, aber unauffällig! Am liebsten saß sie vor ihrem Laptop an ihrem Schreibtisch und tüftelte ganz allein an schwierigen Problemen, ohne dabei mit irgendjemandem reden zu müssen. Reden war sowieso überhaupt nicht ihr Ding! Die Projekte, an denen sie arbeitete, hatten nichts Glamouröses an sich - sie entwickelte Programme für Steuergeräte. Kaum jemand ihrer Bekannten kannte die kleine Firma CUI - "Control Unit International GmbH", für die sie arbeitete. Die knapp dreißig Angestellten waren alles ziemliche Freaks, die nichts Schöneres kannten als ihren Computer. Unter Insidern waren die CUIs, wie man sie nannte, bekannt als die absoluten Spezialisten, die jedes Problem gelöst bekamen. Deshalb lief die Firma auch so gut.

Loreen liebte ihre Arbeit. Sie war jeden Tag mindestens zehn bis zwölf Stunden im Büro und manchmal auch noch viel länger. Selbst ihre Freizeit verbrachte sie, wie die Meisten ihrer Kollegen auch, am Computer und arbeitete an ihren Projekten. Deshalb konnte sie sich ihren Rauswurf auch überhaupt nicht erklären, außer dass es wieder einmal so eine Laune ihres unberechenbaren Chefs gewesen sein musste.

Kurz nach Mittag war sie plötzlich in sein Büro gerufen worden und er hatte ihr wegen eines angeblichen Fehlers jede Menge Vorwürfe gemacht. Dabei war das gar nicht ihr Projekt gewesen, sondern das von Juri, einem ihrer Kollegen. Doch ihn wollte sie nicht anschwärzen. Schließlich hatte der aus der Ukraine stammende, unheimlich schüchterne Mann, schon genug zu leiden. 'Migrationshintergrund' - spöttelten die Anderen immer, weil er einen ausgesprochen starken Akzent hatte, obwohl sein Deutsch ansonsten gut war. Und außerdem fand sie ihn ganz süß ...

Also antwortete sie lieber nicht auf die Anschuldigungen ihres Chefs, bis er völlig ausgerastet war und sie wie ein dummes Schulkind angeschrien hatte. Als er dann auch noch wie verrückt mit dem Kündigungsbrief vor ihren Augen herumfuchtelte, um ihr zu drohen oder sie unter Druck zu setzen, hatte sie ihm den Umschlag einfach aus der Hand gerissen und war aus seinem Büro gerannt. Nicht einmal ihren Laptop hatte sie mitgenommen. Ohne zu stoppen, lief sie aus dem Zimmer des Chefs und durch das Großraumbüro zum Ausgang. Juri, den sie dabei fast über den Haufen rannte, schaute ihr nur fragend hinterher, schwieg aber.

Als sie das Gebäude verlassen hatte und plötzlich auf der Straße stand, realisierte sie, was gerade passiert war. Interessanterweise war ihr gar nicht zum Weinen zumute, doch das war wahrscheinlich der Schock gewesen. Wie lange sie bewegungslos auf der Straße gestanden hatte, konnte sie gar nicht sagen. Erst als sie ihren Namen hörte, erwachte sie aus dieser Starre.

»Loreen. Loreen?«

Es war Juri, der ihr wahrscheinlich doch gefolgt war. Irgendwie wollte sie jetzt aber nicht mit ihm sprechen. Ganz besonders nicht mit ihm! Und auch nicht mit irgendjemand sonst!

»Ich muss los. Dringender Termin!«, log sie wortkarg und rannte zu ihrem Fahrrad. Juri folgte ihr zwar, doch schaffte sie es gerade noch rechtzeitig, ihr Rad loszumachen, sodass sie schon darauf saß und wegfuhr, als Juri angelaufen kam.

»Loreen! Warte doch!«, rief er ihr noch hinterher, doch sie schaute sich nicht einmal um, sondern entfernte sich, so schnell sie konnte. Loreen fuhr nicht nach Hause in ihre Wohnung, sondern radelte einfach ziellos durch die Stadt. Dabei nahm sie noch nicht einmal wahr, was um sie herum passierte, so tief war sie in Gedanken versunken. Als sie dann an einem Werbeplakat der Lufthansa vorbeikam, schoss diese verrückte Idee durch ihren Kopf und ohne nachzudenken, fuhr sie zum Flughafen und buchte den nächstbesten Flug nach Paris. Bezahlen musste sie mit ihrer Kreditkarte, da sie noch nicht einmal Bargeld bei sich trug. Ganz zu schweigen von Gepäck! Nur ihren kleinen Rucksack mit ein paar persönlichen Sachen hatte sie dabei. Schon zwei Stunden später saß sie in dem Flieger und bereute bei der ersten Turbulenz bereits ihre überstürzte Entscheidung.

Doch jetzt war sie nun einmal hier in Paris. Also machte sie sich auf die Suche nach einem Taxi, das sie zu ihrer Mutter fahren könnte. Die würde sicher Augen machen, wenn Loreen mitten in der Nacht und ohne Voranmeldung plötzlich vor ihrer Tür stehen würde.

Als sie durch die Glasschiebetür aus dem Flughafengebäude nach draußen trat, waren nur drei Taxis zu sehen, die ein paar Meter weiter am Rand parkend auf Kundschaft warteten. Loreen lief gleich zum Ersten hin und versuchte dem dunkelhäutigen Fahrer zu erklären, wo sie hin wollte. Doch dieser sprach kein einziges Wort deutsch oder englisch und Loreen genauso wenig französisch, sodass es ihr einfach unmöglich war, das Ziel zu beschreiben.

Frustriert wollte sie schon zum nächsten Taxi laufen, als plötzlich eine ganze Horde von Leuten aus dem Ausgang des Flughafengebäudes herausstürmte und sich geradezu auf die wenigen Autos stürzte, sodass sie zusammen mit ein paar anderen Passagieren zurückblieb, die auch leer ausgegangen waren.

»Aber ... eh, ich war zuerst da!«, rief sie den davonfahrenden Taxis zornig hinterher, ohne natürlich eine Antwort zu erwarten.

Zur gleichen Zeit fuhr auf der anderen Straßenseite ein dunkelgrüner Audi A6 vom Parkplatz auf die Straße. Der junge Mann am Steuer ließ die Scheibe herunter und rief ihr zu, »Sieht wohl so aus, als ob du Hilfe gebrauchen könntest?«

Loreen konnte vor Überraschung gar nicht antworten. Sie starrte einfach nur auf das Auto und auf den gut aussehenden Typen hinter dem Lenkrad, dessen Gesicht sie im Schein der Straßenlaternen ganz gut erkennen konnte. Wo, um alles in der Welt, kam der denn so plötzlich her? Und dazu sprach er auch noch fast perfektes Deutsch! Sie schaute ihn noch immer an, als sei er ein Geist und antwortete nicht auf seine Frage.

»Willst du nun wo hin?«, unterbrach er sie in ihrem Grübeln, »Ich kann dich hinfahren, wenn du möchtest!«

Eigentlich wäre Loreen niemals bei einem Fremden ins Auto gestiegen. Aber jetzt und hier war sie ein paar Hundert Kilometer von zu Hause weg. Es war mitten in der Nacht und sie stand verlassen auf der Straße in einer fremden Stadt in einem Land, dessen Sprache sie nicht sprach und auch nicht verstand. Und dazu war der junge Mann so attraktiv und nett!

Ohne viel nachzudenken, lief sie über den Zebrastreifen auf die andere Straßenseite und stieg in das Auto des Fremden.

»Ich bin ... Nick«, sagte er beim Losfahren. Dass er kurz nachdenken musste, bevor er seinen Namen sagte, fiel Loreen sofort auf. Aber noch mehr verwunderte sie, dass er noch nicht einmal danach fragte, wo sie eigentlich hin wollte. Als dann auch noch die Zentralverriegelung klickte, überkam sie ein ganz ungutes Gefühl.

»Ich hab's mir anders überlegt«, sagte sie mit einem Kloß im Hals, »Halte bitte an und lass mich wieder raus!«

Nick antwortete nicht und schaute sie noch nicht einmal an. Wie ein Verrückter raste er durch die dunklen Straßen von Paris. Selbst an roten Ampeln blieb er nicht stehen. In das mulmige Gefühl mischten sich jetzt Angst und Panik.

»Hey, lass mich jetzt sofort raus! Hast du mich verstanden? Ich will raus!«, forderte Loreen mit zittriger Stimme, doch der eigenartige Fremde, der jetzt überhaupt nicht mehr attraktiv auf sie wirkte, reagierte überhaupt nicht darauf.

»Bist du taub? Ich will jetzt sofort aussteigen! Sofort! Hörst du nicht?«, schrie sie ihn hysterisch an, »Ich will ...«

Mit einer schnellen Bewegung zog Nick eine kleine, schwarze Pistole aus seiner Jackentasche und richtete sie auf Loreens Kopf. Ohne dabei langsamer zu fahren, hauchte er, »Halt jetzt deine Klappe, sonst ...«

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